@MariaB - Staatsentstehung bei Heinsohn
moneymind, Samstag, 11.04.2009, 17:50 (vor 5920 Tagen)
Hi Maria,
zum Heinsohnschen Szenario der Entstehung der ersten Stufe der Hochkultur (Priesterkönigtum, zuständig für Opferrituale, redistributiv versorgt durch Abgaben), die ja ganz anders ausfällt als bei Dottore, der da Franz Oppenheimer folgt, hast Du ja mittlerweile neben dem Kurzaufsatz sein Buch "Die Erfindung der Götter" (Rezension, Zusammenfassung, Kritik eines Katatrophisten-Kollegen).
Hier vielleicht für Dich noch einige Links und Buchtips, die ich als Hintergrund interessant fand:
Zum Katastrophismus:
Bücher:
Trevor Palmer: Perilous Planet Earth.
Clube/Napier: The Cosmic Winter
Allen/Delair: Cataclysm! Compelling Evidence of a Cosmic Catastrophe in 9500 B.C (Inhaltsangabe + Inhaltsverzeichnis)
Links:
Immanuel Velikovsky Archive (Velikovsky ist Heinsohns Primärquelle zum Katastrophismus und zur antiken Chronologierevision)
Textsammlung zur Diskussion um den Katastrophismus seit den 50ern
Mythopedia
Kronia - David Talbott und andere (Velikvosky-Schüler)
Alfred DeGrazia
Phil Burns´ Catastrophism Pages
Berliner Geschichtssalon
Zur vergleichenden Religionswissenschaft und zur Bedeutung von religiösen Ritualen, religiöser Architektur etc. (m.E. Kern des Staatsphänomens):
Mircea Eliade:
- Der Mythos der ewigen Wiederkehr
- Das Heilige und das Profane
- Patterns in Comparative Religion (dt. Die Religionen und das Heilige).
Als Hintergrund fürs Verständnis der religiösen Art und Weise, Bedeutungen zu konstruieren (über Analogien, Metaphern und "laterale Cross-Domain-Mappings") im Vergleich zur wissenschaftlichen Art und Weise (über Abstraktionen, Induktion/Deduktion und "Top-Down-Mappings"):
Gregory Bateson/M.C. Bateson: Wo Engel zögern - unterwegs zu einer Epistemologie des Heiligen. (Auszug)
Mark Turner/Gilles Fauconnier: The Way We Think. Conceptual Blending and the Hidden Complexities of the Human Mind.
Jesper Sorensen: A Cognitive Theory of Magic.
Halt zum reinschnuppern.
Gruß
moneymind
Tausend Dank, dann mal frisch ans österliche Lesewerk... (oT)
MariaBitterlich , Samstag, 11.04.2009, 19:29 (vor 5920 Tagen) @ moneymind
- kein Text -
Ostereier gibt´s da zwar nicht, aber ....
moneymind, Samstag, 11.04.2009, 19:36 (vor 5920 Tagen) @ MariaBitterlich
... sicherlich jede Menge Überraschungen und Entdeckungen (war jedenfalls für mich so) !
Viele Grüße!
Bei Oppenheimer waren es die nomadisierenden Hirtenstämme
Zarathustra, Samstag, 11.04.2009, 22:02 (vor 5920 Tagen) @ moneymind
die in aller Regel und aus eindrücklich abgehandelten Gründen in aller Welt die friedlichen Ackerbau-Stämme unterwarfen.
Erschien mir ziemlich einleuchtend, zumal es von der Versklavung der Tiere bis zur Versklavung der Menschen kein grosser Schritt mehr war.
Gruss
Oppenheimer/dottore: zirkulär, ökonomistisch + erklären zuwenig
moneymind, Sonntag, 12.04.2009, 00:17 (vor 5919 Tagen) @ Zarathustra
Hi Zara,
hatte ne lange Antwort getippt aber aus Dusseligkeit versehentlich gelöscht, daher nur kurz:
Dottores debitismus finde ich als systematische Erklärung des Kapitalismus einleuchtend, wenn ich auch seine Zinstheorie nicht teile.
Seine historischen Erklärungen der Entstehung 1) des Staats und 2) von Eigentum und Vertragsfreiheit (der "Sphäre des Privatrechts" also) und parallel dazu der Umwandlung eines religiös legitimierten in einen säkularen Staat halte ich für ökonomistisch verkürzt, sie erklären mir viel zuwenig.
Es ist ganz eindeutig, daß die ersten Staaten durch und durch von Religion bestimmt waren - Priesterkönigtümer, redistributive Palastwirtschaften, in deren Zentrum ein religiöser Herrscher stand, dessen Aufgabe darin bestand, die gesellschaftliche Harmonie und die Himmelsharmonie (!!) sicherzustellen. Die gesellschaftlichen Aktivitäten konzentrieren sich nicht auf Produktivitätsmaximierng etc. sondern immer auf religiöse Inhalte, die wir heute als "Kunst" bezeichnen: heilige Architektur, Bau von Tempeln, Pyramiden, Palästen, Kirchen, alle mit astrononischen Bezügen, Kunstgegenstände mit religiöser Bedeutung im Alltag, Rituale als Re-Enactment der Schöpfung, usw. usf.
Siehe dazu z.B. Mircea Eliade: "Das Heilige und das Profane" oder "Der Mythos der ewigen Wiederkehr", oder Julius Evola: "Revolte gegen die moderne Welt".
Die Entstehung dieser ersten Stufe der Hochkultur - religiös motivierte und zentrierte Feudalsysteme mit herrschender Priesterkaste, Klassenteilung und redistributiver Versorgung der Priesterklasse, die dafür die Organisation der Rituale etc. übernimmt - erklärt Heinsohn für mich - wenn auch sehr skizzenhaft - weitaus plausibler als die Oppenheimer/dottoresche ökonomistische, von einem apriorisch gegebenen Machtwillen ausgehende Gewaltstheorie. (siehe Heinsohn: Die Erschaffung der Götter).
Die Entstehung der zweiten Stufe der Hochkultur - die genauso wie die der ersten bis heute in den zuständigen Fachdisziplinen als unerklärt gilt (Zitate dazu kann ich gern nachliefern) - mit privatem Grundeigentum, freien Männern, Vertragsrecht, Kredit, Zins und Geld und Philosophie - erklärt dottore als von oben gestartet.
Ich meine, man kann diesen Prozess nur verstehen als eine revolutionäre Eroberung und Umfunktionierung der vormals priesterlichen (religiösen) Staatsmacht "von unten" durch freie Männer unter katastrophischen Sonderbedingungen (siehe Heinsohn: Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft, Kap. 1). Nur das erklärt ja auch die darauf sowohl im antiken Griechenland als auch in der Moderne folgende bzw. damit einhergehende Kritik des Mythos bzw. der Religion, und das Entstehen eines ganz neuen Denkstils (griechische Philosophie, Wissenschaft und axiomatisch-deduktive Methode - Vorsokratiker bis Aristoteles), der "Aufklärung" (siehe dazu und zum Zusammenhang mit dem neuen, auf Freiheit beruhenden Gesellschaftssystem auch J.P. Vernant: Die Entstehung des griechischen Denkens, G.E.R. Lloyd: "Demystifying Mentalities" und "The Word and The Way" und Richard Seaford: "Money and the early Greek Mind".
Nur das erklärt ja auch den permanenten Streit zwischen Aufklärern und der Kirche sowie Konservativen. U.v.a.M.
Kurz und gut, dottores ökonomistische / materialistische Szenarien halte ich für letztlich zirkulär, sie erklären mir einfach zuwenig, besonders im Hinblick auf das Religionsphänomen und dann die Revolution "vom Mythos zum Logos".
Heinsohn hält hier m.E: wesentlich schlüssigere Szenarien bereit
Allerdings braucht man zu deren wirklichem Verständnis m.E. auch eine Epistemologie, die über die übliche abendländische rationalistische Epistemologie hinausgeht und Symbolkonstruktionsprozesse wie in religiösen Ritualen, die auf Analogien, Metaphern und 1:1 Entsprechungen ("Mappings") basieren, präzise analytisch verstehbar machen. Gibt es bisher auch kaum, die besten Ansätze dafür finde ich bei Gregory Bateson ("Angels Fear" bzw. "Wo Engel zögern - unterwegs zu einer Epistemologie des Heiligen") und bei Mark Turner und Gilles Fauconnier (Link zum Buch im Vorposting von mir, sie nennen ihr Modell "Conceptual Blending and Integration"). Daher diese Links in meinem Vorposting in diesem Thread.
Nietzsche, den Du ja kennst, hatte übrigens durchaus eine Ahnung von der Bedeutung des "Metaphernphänomens", allerdings hat er das nie analytisch durchdrungen, sondern nur selber eine Metapher nach der anderen vom Leder gezogen, der Gute.
Naja, wie auch immer - so sehe ich das jedenfalls. Vermutlich ungewöhnlich, vieleicht schwerverdaulich, hoffentlich wenigstens in Ansätzen irgendwie nachvollziehbar (ist irgendwie doch wieder länger geworden).
Gruß
moneymind
Religion spielt auch bei Oppenheimer/Dottore eine Rolle
Zarathustra, Sonntag, 12.04.2009, 10:42 (vor 5919 Tagen) @ moneymind
bearbeitet von Zarathustra, Sonntag, 12.04.2009, 10:53
Sie ist aber untergeordnet und vor allem Mittel zum Zweck; der Zweck ist das Erzielen arbeitsfreien Einkommens mittels Unterwerfung von Fremdstämmen. Heinsohn habe ich nur bruchstückweise gelesen, dafür aber Oppenheimers "Staat".
In Deinem Beitrag sprichst Du die Entstehung der ersten Stufe der Hochkulturen an. Dies ist aber bereits eine fortgeschrittene Phase bei der Bildung von Staaten und deren Expansion. Oppenheimer beschreibt dagegen ausführlich die verschiedenen Phasen bei der Staatenbildung, und darin ausführlich die allererste Phase, bei der in aller Regel ein nomadisierender Hirtenstamm einen sesshaften Ackerbau-Stamm unterwirft. Allzu viele Gemeinsamkeiten gibt es bei Dottore und Oppenheimer übrigens nicht, von der Staatenbildung abgesehen. Oppenheimer zeichnete ein positives, optimistisches Bild, was die Entwicklung betrifft, Dottore aber das genaue Gegenteil, wie wir alle wissen: Fortschritt ist Rückschritt, Kultur ist Gewalt, Gewalt ist Kultur. Und genau so seh' ich das auch.
Man streitet sich ja heute noch, ob die Expansion des Hegemons USA in den Irak religiös oder halt doch eher materiell begründet war. Auch hier denke ich, dass das Materielle klar im Vordergrund steht und die Religion bloss wieder Mittel zum Zweck ist. Die Dollar-motivierten Führer können das Fussvolk lediglich dann motivieren, mitzumarschieren, wenn sie Religion und Patriotismus ins Feld führen, und so war es vermutlich schon immer: Die ewige Wiederkehr des Gleichen.
Schliesse mich Zandow an: Klasse-Beitrag Deinerseits, wie immer.
Grüsse / Z.
Bulgarien als Beispiel
aprilzi , tiefster Balkan, Sonntag, 12.04.2009, 12:51 (vor 5919 Tagen) @ Zarathustra
Oppenheimer beschreibt dagegen
ausführlich die verschiedenen Phasen bei der Staatenbildung, und darin
ausführlich die allererste Phase, bei der in aller Regel ein
nomadisierender Hirtenstamm einen sesshaften Ackerbau-Stamm unterwirft.
Als ein solcher Staat kann ich Bulgarien als Beispiel geben. Bulgarien ist im Jahre 861 als Staat in Europa entstanden. Nomaisierende Voelker aus dem Osten, eben die Bulgaren, haben die slawisch sprechende Ackerbau-Bewoelkerung zu einem Staat zusammengefasst. Heute sind einige (800) Woerter uebriggeblieben, die aus diesem Zusammenschluss herruehren, z.B schlecht = loscho, was kein analog im russischen hat, was dieselbe Bedeutung auch in einigen Gegenden Afghanistans hat. Die ersten Herrscher trugen alle nicht-slawische Namen sonder bulgarische eben. Bekannt ist der aeussert genaue bulgarische Kalendar, was ja bekanntlich fuer Steuerzwecke gebraucht wird, auch gibt es andere kulturelle Aehnlichkeiten.
Uebrigens, es wird gemutmasst, dass die Ur-Bulgaren aus Baktria stammen sollen, befindet sich im Nord-afghanistan, Tadschikistan. Dorther soll auch der wahre Zarathustra stammen.
Gruss
Religion + Ökonomie
moneymind, Dienstag, 14.04.2009, 17:44 (vor 5917 Tagen) @ Zarathustra
Hi Zara,
In Deinem Beitrag sprichst Du die Entstehung der ersten Stufe der
Hochkulturen an. Dies ist aber bereits eine fortgeschrittene Phase bei der
Bildung von Staaten und deren Expansion. Oppenheimer beschreibt dagegen
ausführlich die verschiedenen Phasen bei der Staatenbildung, und darin
ausführlich die allererste Phase, bei der in aller Regel ein
nomadisierender Hirtenstamm einen sesshaften Ackerbau-Stamm unterwirft.
Allzu viele Gemeinsamkeiten gibt es bei Dottore und Oppenheimer übrigens
nicht, von der Staatenbildung abgesehen. Oppenheimer zeichnete ein
positives, optimistisches Bild, was die Entwicklung betrifft,
Vermutlich mit dem Hintergedanken des Evolutionismus - "allgemeine Höherentwicklung" etc.. Halte ich für eine moderne Ideologie (Gradualismus, Evolutionismus, Lyell/Darwin), habe mich da von Heinsohn und anderen von einer katastrophistischen Sicht der Geschichte überzeugen lassen (siehe Links im Ausgangsposting).
Dottore aber
das genaue Gegenteil, wie wir alle wissen: Fortschritt ist Rückschritt,
Kultur ist Gewalt, Gewalt ist Kultur. Und genau so seh' ich das auch.
Ist analog zur traditionellen, religiösen Weltsicht - zyklisches Weltbild, ewige Wiederkehr des gleichen oder Weltalter mit Abstieg, siehe Eliade: Myth of the Eternal Return.
Aus der Sicht von Heinsohn und dem Katastrophismus(siehe Ausgangsposting) ergibt für mich beides einen relativen Sinn.
Man streitet sich ja heute noch, ob die Expansion des Hegemons USA in den
Irak religiös oder halt doch eher materiell begründet war. Auch hier
denke ich, dass das Materielle klar im Vordergrund steht und die Religion
bloss wieder Mittel zum Zweck ist.
Denke ich hier auch, heutzutage dominiert in Geldwirtschaften die Ökonomie, und andere eifern dem nach. Entstehung des Staates aber m.E. nicht primär ökonomisch zu erklären, siehe meine Antwort an dottore.
Die Dollar-motivierten Führer können
das Fussvolk lediglich dann motivieren, mitzumarschieren, wenn sie Religion
und Patriotismus ins Feld führen,
Ja, sehe ich auch so - und Aufklärung, Freiheits- und Demokratieglaube sind ebenfalls eine Religion bzw. Ideologie, das sehen übrigens vergleichende Religionswissenschaftler auch so, siehe z.B. Ninian Smart. Menschliche Wahrnehmung funktioniert nun mal so.
und so war es vermutlich schon immer:
Die ewige Wiederkehr des Gleichen.
Möglich, ist mir eine zu breite Verallgemeinerung. Ewige Wiederkehr entspricht dem traditionellen Weltbild, s.o. + Eliade.
Schliesse mich Zandow an: Klasse-Beitrag Deinerseits, wie immer.
Danke, waren aber ja nur Links.
Gruß
moneymind
Sehr interessant - Danke
dottore , Montag, 13.04.2009, 13:17 (vor 5918 Tagen) @ moneymind
bearbeitet von unbekannt, Montag, 13.04.2009, 13:21
Hi moneymind,
versuche mal klarzustellen, Danke.
Dottores debitismus finde ich als systematische Erklärung des Kapitalismus einleuchtend, wenn ich auch seine Zinstheorie nicht teile.
Zinstheorie:
1. Abgabe (Zinnß). Das Wort „zinsen“ kommt noch bis ins 18./19. Jh. vor. Der Abgabenverpflichtete ist der „Zinser“. Der Zinnß hat mit irgendwelchen „investiven“ Zinsen nichts zu tun, da es zunächst nirgends Kredite zu investiven Zwecken gab.
2. Haben wir Abgaben existiert SOLL/IST. Wird das SOLL nicht zum Termin gebracht, kann sich der Verpflichtete (bzw. sein Stamm u.ä.) der Sanktion entziehen, indem er das Abgabengut leiht. Zinslos als Rest der ursprünglichen Solidargemeinschaft. Das gelingt nicht immer, daher das masive Überschuldungsphänomen im alten Babylon (mit korrigierenden clean slates bzw. Erlaßjahren bei Herrscherwechseln usw.).
3. Über die Leihe des Abgabengutes wird ein Titel ausgestellt (ausführlich Nissen u.a. Berliner Altorientalisten). Der Titel kann vor Fälligkeit zediert werden, dann mit Diskont. Differenz zu Diskont zum vollen Nominal = Zins.
4. Geliehenes wird später der Einfachheit halber mit einem Zinssatz versehen. Daher die ersten „Bankiers“ (Wucherer).
Seine historischen Erklärungen der Entstehung 1) des Staats und 2) von Eigentum und Vertragsfreiheit (der "Sphäre des Privatrechts" also) und parallel dazu der Umwandlung eines religiös legitimierten in einen säkularen Staat halte ich für ökonomistisch verkürzt, sie erklären mir viel zuwenig.
„Religiöse“ Legitimation ist nunächst ein Stammes- und kein Staatsphänomen, von Staatsherrschern dann in einigen Fällen übernommen, wobei die „Religiosität“ in der Regel aus dem Ahnenkult stammt: der Ahn legitimiert seine Nachkommen, zu denken z.B. an die Oba-Figuren in Benin, die im Palast aufbewahrt wurden. In anderen Fällen ist die Gottheit klar vom weltlichen Herrscher getrennt, siehe die verschiedenen Listen, z.B. in Mesopotamien Hunderte von Gottheiten, in Indien mehrere Hunterttausend. Darstellung u.a. die Hammurapi-Stele (Louvre) mit deutlicher Trennung von Gottheit und Herrscher.
Auch vielfach säkulare Herrscher, die keinen Gottheitsanspruch erheben, auch wenn sie „metaphysisch“ argumentieren, z.B. Moses, Joshua, Etruskerkönige, germanische Chiefs, Dschinghis Khan usw.
Es ist ganz eindeutig, daß die ersten Staaten durch und durch von Religion bestimmt waren
Staatenbildung und Versuche dazu ohne Krieg nicht vorstellbar, cf. Flannery/Marcus („Origin of War“).
Priesterkönigtümer,
Israel? Ägypten? Nordische Gebilde? Pazifik?
redistributive Palastwirtschaften,
Palast ungleich Tempel.
in deren Zentrum ein religiöser Herrscher stand,
Nebukadnezar?
dessen Aufgabe darin bestand, die gesellschaftliche Harmonie und die Himmelsharmonie (!!) sicherzustellen.
Heinsohns These und durchaus beachtenswert. Aber nicht weltweit.
Die gesellschaftlichen Aktivitäten konzentrieren sich nicht auf Produktivitätsmaximierng etc. sondern immer auf religiöse Inhalte, die wir heute als "Kunst" bezeichnen: heilige Architektur, Bau von Tempeln, Pyramiden, Palästen, Kirchen, alle mit astrononischen Bezügen, Kunstgegenstände mit religiöser Bedeutung im Alltag, Rituale als Re-Enactment der Schöpfung, usw. usf.
Womit wurden die Anlagen finanziert, wenn nicht durch Abgaben bzw. Leibarbeit?
Siehe dazu z.B. Mircea Eliade: "Das Heilige und das Profane" oder "Der Mythos der ewigen Wiederkehr", oder Julius Evola: "Revolte gegen die moderne Welt".
Eliade geht es um Archetypen, er spart sich die mühsame historische Kleinarbeit. Bei Evola Vorsicht (Mussolini, Himmler).
Die Entstehung dieser ersten Stufe der Hochkultur - religiös motivierte und zentrierte Feudalsysteme mit herrschender Priesterkaste, Klassenteilung und redistributiver Versorgung der Priesterklasse, die dafür die Organisation der Rituale etc. übernimmt - erklärt Heinsohn für mich - wenn auch sehr skizzenhaft - weitaus plausibler als die Oppenheimer/dottoresche ökonomistische, von einem apriorisch gegebenen Machtwillen ausgehende Gewaltstheorie. (siehe Heinsohn: Die Erschaffung der Götter).
Es geht nicht um „Machtwillen“, sondern das altbekannte ökonomische Prinzip: Andere für sich arbeiten zu lassen, ist vom Machthalter (egal jetzt, wie „religiös“) aus gesehen produktiver als selbst zu arbeiten.
Die Entstehung der zweiten Stufe der Hochkultur - die genauso wie die der ersten bis heute in den zuständigen Fachdisziplinen als unerklärt gilt (Zitate dazu kann ich gern nachliefern) - mit privatem Grundeigentum, freien Männern, Vertragsrecht, Kredit, Zins und Geld und Philosophie - erklärt dottore als von oben gestartet.
Es gibt kein privates Grundeigentum, sondern – sofern Staat – nur Unter-Eigentum. Freie Männer waren Herrscher plus Clique. Kredit, Zins, Geld sind nicht „von unten“ entstanden (Gesellschaftsvertrag?).
Ich meine, man kann diesen Prozess nur verstehen als eine revolutionäre Eroberung und Umfunktionierung der vormals priesterlichen (religiösen) Staatsmacht "von unten" durch freie Männer unter katastrophischen Sonderbedingungen (siehe Heinsohn: Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft, Kap. 1).
Der Katatstrophismus erklärt sehr wohl den Untergang der alten Führungsschichten (minoische Kultur usw.), aber nicht, warum es anschließend sofort wieder zur Bildung neuer Hierarchien kommt.
Nur das erklärt ja auch die darauf sowohl im antiken Griechenland als auch in der Moderne folgende bzw. damit einhergehende Kritik des Mythos bzw. der Religion, und das Entstehen eines ganz neuen Denkstils (griechische Philosophie, Wissenschaft und axiomatisch-deduktive Methode - Vorsokratiker bis Aristoteles), der "Aufklärung" (siehe dazu und zum Zusammenhang mit dem neuen, auf Freiheit beruhenden Gesellschaftssystem auch J.P. Vernant: Die Entstehung des griechischen Denkens, G.E.R. Lloyd: "Demystifying Mentalities" und "The Word and The Way" und Richard Seaford: "Money and the early Greek Mind".
Seaford setzt bei Homer an (Reziprozität, wie bekannt) und untersucht die Veränderung des griechischen Denkens nach dem Beginn der Münzprägungen. Das geänderte „griechische Denken“ ist zwar akademischer Fakt (Peripathie, Akademie etc.), aber wird durch die tatsächliche Entwicklung Griechenlands (Vorherrschaft, Söldner, attischer Bund usw.) in seiner „Wirkung“ auf das reale historische Geschehen widerlegt.
Nur das erklärt ja auch den permanenten Streit zwischen Aufklärern und der Kirche sowie Konservativen. U.v.a.M.
Kurz und gut, dottores ökonomistische / materialistische Szenarien halte ich für letztlich zirkulär,
Sind es Szenarien? Ich versuche mich an die Fakten der Macht- und Gewaltgeschichte zu halten. Diese verläuft nicht zirkulär (à la Kohelet), sondern „linear“ (wenn auch mit Unterbrechungen).
sie erklären mir einfach zuwenig, besonders im Hinblick auf das Religionsphänomen und dann die Revolution "vom Mythos zum Logos".
Das sind Denkschemata, unter „Revolution“ definiere ich Umsturz.
Heinsohn hält hier m.E: wesentlich schlüssigere Szenarien bereit
Was geschieht konkret in/nach der Katastrophe?
Allerdings braucht man zu deren wirklichem Verständnis m.E. auch eine Epistemologie, die über die übliche abendländische rationalistische Epistemologie hinausgeht und Symbolkonstruktionsprozesse wie in religiösen Ritualen, die auf Analogien, Metaphern und 1:1 Entsprechungen ("Mappings") basieren, präzise analytisch verstehbar machen.
Erkenntnistheorien sind gewiss wichtig, tragen mE aber zur Interpretation des realwirtschaftlichen Ablaufs nichts bei. Ich verstehe auch nicht, warum das simple debitistische Konzept „philosophiert“ werden soll. Obwohl vermutlich jeder vernünftige Mensch z.B. Nuklearwaffen ablehnt (Philosophen voran), existieren sie nach wie vor.
Gibt es bisher auch kaum, die besten Ansätze dafür finde ich bei Gregory Bateson ("Angels Fear" bzw. "Wo Engel zögern - unterwegs zu einer Epistemologie des Heiligen") und bei Mark Turner und Gilles Fauconnier (Link zum Buch im Vorposting von mir, sie nennen ihr Modell "Conceptual Blending and Integration"). Daher diese Links in meinem Vorposting in diesem Thread.
Metaphysik („Engel“) ist nicht mein Fach.
Nietzsche, den Du ja kennst, hatte übrigens durchaus eine Ahnung von der Bedeutung des "Metaphernphänomens", allerdings hat er das nie analytisch durchdrungen, sondern nur selber eine Metapher nach der anderen vom Leder gezogen, der Gute.
Niezsche in „Menschliches...“: „Der Krieg unentbehrlich“ (477). Nur ist der Krieg halt keine Metapher.
Naja, wie auch immer - so sehe ich das jedenfalls. Vermutlich ungewöhnlich, vieleicht schwerverdaulich, hoffentlich wenigstens in Ansätzen irgendwie nachvollziehbar (ist irgendwie doch wieder länger geworden).
Sehr wohl nachvollziehbar. Für mich ein interessanter philosophischer Ansatz. Vielen Dank + Gruß!
Beispiel Japan
bernor, Montag, 13.04.2009, 23:35 (vor 5917 Tagen) @ dottore
Hi,
dessen Aufgabe darin bestand, die gesellschaftliche Harmonie und die
Himmelsharmonie (!!) sicherzustellen.
Heinsohns These und durchaus beachtenswert. Aber nicht weltweit.
Japans Geschichte vor der Meiji-Ära ist Machtkampf ("Bürgerkriege" seit dem 12. Jh.) bzw. Machtsicherung (Tokugawa-Shogunat ab 1600 bis ca. 1870) pur.
Nur in der Zeit davor, etwa ab dem 5. Jh., hat mit der Einführung des Buddhismus und des chinesischen Machtsystems des kaiserlichen Absolutismus (Kaiser <=> Tenno) die Religion eine gewisse Rolle gespielt - jedoch nur zur Einschüchterung, dem einfache Volk blieb der Zugang zur neuen Religion (noch) verschlossen (also keine "Moralisierung" der Politik und Gesellschaft wie im Orient / Westen oder auch in China).
Und seit dem 12. Jh., als die Japanisierung der fremden Kultur abgeschlossen und auch der Buddhismus offen für alle war, galt (und gilt) die Religion nur noch als Privatsache (reine Alltagsreligion, mit fester Zuständigkeit: für die 'lebendigen' Dinge der alte animistische Shinto, für den Tod o.ä. der Buddhismus). Zu erwähnen sind da noch zwei "Ausnahmen", jeweils aus aus rein machtpolitischen Erwägungen: Ausrottung des Christentums zu Beginn der Tokugawa-Ära und Vergottung des Tenno ab der späten Meiji-Ära bis 1945 (Staats-Shinto).
Und Großkatastrophen, mit entsprechenden Welt-Schöpfergottheiten, spielen ebenfalls keine Rolle - sie wurden weder überliefert noch ist erkennbar, daß sie die Entstehung von Machtsystemen in Japan irgendwie motiviert hätten. Alles, was dort bisher unter Großkatastrophe / "Weltuntergang" thematisiert worden ist, ist erst nach 1945 entstanden ("Atombomben-Trauma", auch Verletzlichkeit der hochtechnisierten Gesellschaft an sich durch Erdbeben, Taifune etc.).
Zumindest diese Weltgegend ist für Heinsohns Theorie verlorenes Terrain.
Gruß
Könnte diese ausführliche AW der Sammlung angefügt werden? (oT)
BillyGoatGruff , Schweiz, Dienstag, 14.04.2009, 12:55 (vor 5917 Tagen) @ dottore
- kein Text -
--
"Politiker und Windeln müssen häufig gewechselt werden, aus dem selben Grund, und das ist nicht der Geruch' (Mark Twain)
drin (oT)
Chef , Dienstag, 14.04.2009, 15:08 (vor 5917 Tagen) @ BillyGoatGruff
Zinstheorie, Staatsentstehung - Präzisierung
moneymind, Dienstag, 14.04.2009, 17:34 (vor 5917 Tagen) @ dottore
Hallo dottore,
danke für die kurze Klarstellung und Stellungnahme. Ich versuche mal, meine Sicht der Dinge etwas auszuführen, in drei Schritten:
A) Zinstheorie
B) Entstehung von 1) Staat und 2) Eigentum, Vertrag, Zins, Geld und "Demokratie" (Polis)
C) Antworten auf Ihre Anmerkungen
Zunächst (A) zum Zins:
Ihre Zurückweisung der Heinsohn/Steigerschen Zinstheorie teile ich. Ihre eigene Zinstheorie dagegen nicht.
Meine eigene, im Grunde lächerlich einfache Zinserklärung hatte ich kurz hier (70786) und ausführlicher hier (94587) beschrieben und dort auf frühere Postings dazu verwiesen (und freue mich darüber, daß immerhin Bill Hicks mir da in seinem Antwortposting weitgehend zugestimmt hat).
Ich meine, daß diese Zinstheorie als allgemeine Zinstheorie taugt. Sie trifft auf das heutige Bankensystem zu und erklärt den Zusammenhang von Eigentum, Kredit, Sicherheiten bzw. Vermögenshaftung und Liquiditätsgrad ("Geldnähe") einer Forderung bis hin zur liquidesten aller Forderungen, dem Zentralbankgeld, bestens.
Sie ist v.a. allgemeingültig, denn sie trifft auch auf Wechsel zu – das vermutlich älteste Finanzinstrument. Den Zentralbankzins müßte man zwar gesondert diskutieren, da auf ihn aufgrund der Staatsnähe und der Aufgaben der ZB weitere Sonderbedingungen gelten, aber das von mir beschriebene Grundprinzip des Zusammenhangs von Zins und "Geldschöpfung" gilt auch dort weiter.
Meine Zinserklärung benötigt als Voraussetzung lediglich Eigentum, Vertrags-/Schuldrecht incl. Vermögenshaftung (Vollstreckbarkeit durch die Staatsgewalt auf Anfrage des Gläubigers), individualisiertes Existenzrisiko (Existenzsicherung auf der Basis von Solidar- und Redistributionssystemen nicht mehr möglich). Staatsmacht ist natürlich ebenfalls vorausgesetzt, Zins ist aber ein Phänomen der Sphäre des Privatrechts (das nur eingebettet in ein übergeordnetes öffentliches (Herrschafts-)Recht existieren kann, da stimme ich Ihnen zu - das steht aber auch in jedem juristischen Lehrbuch).
Sie ist zunächst mal eine rein systematische Erklärung, die sich auf die heute existierende Eigentumswirtschaft bezieht, keine historische. Sie paßt aber gleichzeitig auch weitaus schlüssiger mit den historischen Szenarien für die Entstehung von a) herrschender Klasse und Abgaben und b) "freiem" Grundeigentum, Vertrag, Kredit und Geld zusammen, die ich favorisiere.
Diese Szenarien basieren wie gesagt auf den von Heinsohn vorgeschlagenen, unterscheiden sich jedoch in einigen wichtigen Punkten (besonders bei der Geldentstehung) Heinsohns Szenario, und auch von Ihrem Szenario.
In Ihrem "Zins 2" (Diskont bzw. Disagio: "Der Titel kann vor Fälligkeit zediert werden, dann mit Diskont. Differenz zu Diskont zum vollen Nominal = Zins.") scheint mir eine Ahnung dieser Zinserklärung zugrundezuliegen. Ich sehe in Ihrem "Zins 2" den Versuch, eine Alternative zu Heinsohn/Steigers Theorie der "Eigentumsblockierung" ("Verzicht auf Eigentumsprämie") zu finden. Doch allein aus dem Zeitablauf läßt sich kein Zins erklären, Zeit läuft bei jeglicher Leihe ab, auch bei stammesgesellschaftlicher, ohne zu einem Zins zu führen.
Da Sie dies ja wissen, müssen Sie – um zu einer schlüssigen Zinstheorie zu kommen – dem die Abgabe ("Zins 1") vorschalten.
Und folgendes ergänzen:
4. Geliehenes wird später der Einfachheit halber mit einem Zinssatz versehen. Daher die ersten „Bankiers“ (Wucherer).
Diese Erklärung halte ich für ganz, ganz schwach und unüberzeugend. Wie entstehen Eigentum und Vertragsfreiheit, wie wird die Staatsmacht in den Dienst der Privaten gestellt (Vollstreckung)?
Sie müssen konsequenterweise auch die Entstehung von Eigentum und Freiheit (Griechenland etc.) "von oben" erklären, und dabei wird ihre Erklärung zwar ökonomisch einigermaßen in sich schlüssig, gerät aber in Widerspruch zu anderen historisch bekannten Tatsachen (dazu unten mehr). Mir erscheint sie gerade nur als Revolution gegen die religiös begründete Macht des Königs erklärbar - als revolutionäre Eroberung des Staatsapparats, und seine Umfunktionierung als Instrument der "Freien" - mithilfe der Erfindung von durchweg religionskritischer "Philosophie" und "Politik" etc. (die natürlich selbst eine neue Form von Ideologie darstellen).
Historischer Aspekt: (B) Entstehung von 1) Staat und 2) Eigentum, Vertragsfreiheit, Schuldrecht, Zins, Geld
Damit sind wir nun beim historischen Aspekt des Ganzen. Hier sind zwei historische Entwicklungsbrüche wichtig:
1) die Entstehung des Phänomens "Staat" – d.h. eines zentralisierten Macht- und Verwaltungsapparats, der auch eine historische und systematische Voraussetzung darstellt für die Entstehung des Phänomens
2) Vertragsfreiheit, "privates" Grundeigentum, Vertragsrecht, Darlehen, Zins und Geld.
Beide historischen Entwicklungen gelten bisher als weitgehend unerklärt (ließe sich durch Zitate bei Uwe Wesel, Martin van Creveld und vielen anderen beliebig belegen).
Daher gibt es über diese Entwicklungen unterschiedliche Theorien bzw. Spekulationen und hypothetische Szenarien, zu denen auch die von Heinsohn und von Ihnen entwickelten Szenarien gelten. Sie sagen, daß Sie sich dabei an die Fakten halten, und natürlich darf kein solches Szenario mit den bekannten Fakten (Ausgrabungen, Überlieferungen, etc.) in Widerspruch geraten. Andererseits gehen in solche Szenarien natürlich immer Vorannahmen und Grundüberzeugungen ein, die derjenige der das Szenario entwickelt, nicht immer erkennt oder von denen er so fest überzeugt ist, daß er sie für die Realität und nicht für kulturell produzierte Grundüberzeugungen hält.
Mein Eindruck bei ihrem Szenario für die Entstehung des Staates nun ist, daß sie als Ökonom da eben rein ökonomisch denken und zu erklären versuchen – ganz wie Marx mit seinem Versuch einer rein materialistischen Erklärung der verschiedenen Gesellschaftsformationen und der dieser eigenen Denkformen ("Basis-Überbau-Theorem" – Versuch, sowohl Religion als auch Philosophie "aus den materiellen Verhältnissen heraus" zu erklären).
Sie schreiben ja:
" Es geht nicht um „Machtwillen“, sondern das altbekannte ökonomische Prinzip: Andere für sich arbeiten zu lassen, ist vom Machthalter (egal jetzt, wie „religiös“) aus gesehen produktiver als selbst zu arbeiten."
Das ist richtig, aber erklärt das wirklich die Anstrengungen, die man für die Errichtung eines zentralisierten Herschafts- und Verwaltungsapparats, sakraler Architektur, die Durchführung von öffentlichen Ritualen mit Tanz und Musik etc. (also all das, was wir heute "Kunst" nennen) unternommen hat? Ich bezweifle, daß all diese Erfindungen zu rein ökonomischen Zwecken – nämlich, um andere ausbeuten zu können und sich selbst faul zurücklehen zu können – entstanden sind.
Dazu die Anthropologin Caroline Humphrey:
"Obwohl das religiöse Bewußtsein der Menschheit schon seit Jahrtausenden ausgeprägt ist, wurden erst in den letzten tausend Jahren große Anstrengungen und Mittel aufgewandt, um monumentale Zikkurate, Pyramiden, Tempel und Kirchen zu bauen. Dies ging meist mit der Entstehung eines Zentralstaates einher." (C. Humphrey / P. Vitebsky: Sakrale Architektur).
Diese Verbindung von Zentralstaat und sakraler Architektur etc. muß erklärt werden.
Warum sollte man eine solch komplexe Ideologie entwickeln, wenn sich doch das ökonomische Interesse an der Ausbeutung anderer durch Waffen viel einfacher und mit viel weniger Aufwand durchsetzen ließe, wie Sie postulieren?
Ich sehe es – mit Heinsohn – eher so, daß die Entstehung dieser Machtgebilde ganz anders zu erklären ist (Katastrophismus), aber erst nach dem Verlust ihrer Funktion nach dem Ende der durch periodische Katastrophen gekennzeichneten Bronzezeit (Katastrophenprognose, Beruhigungs- und Kosmos-Beeinflussungs-Rituale) das ökonomische Interesse am Machterhalt aus reiner Bequemlichkeit in den Vordergrund tritt und das primäre Motiv der Herrscher wird.
Und Revolutionen gegen dieses religiöse System, von denen eben einige zur "Freiheit" führen, werden auch erst dann wirklich möglich.
(Wobei ich mich hier auf die fürs europäische Abendland bestimmende Entwicklung in Griechenland beschränken möchte, wo es ja dann auch zu "Unter-Eigentum", Vertragsfreiheit, Zins, Geld, Politik und Demokratie kommt; inwieweit Heinsohns Modell weltweit gültig ist, ist eine andere Frage, die ich hier nicht behandeln kann.)
Und ich meine, Ihre Theorie ist einfach nicht in der Lage, diesen enorm wichtigen Aspekt der Menschheitsgeschichte – die Entstehung von sakralen Zentralstaaten und Königtümern - auch nur ansatzweise verständlich zu machen, und vielleicht liegt das daran, daß sie – als von der Aufklärung geprägter Denker – Religion a priori als illusionären Kinderkram aus der Frühgeschichte der Menschheit sehen. Diese Sichtweise der Religion aber ist eine von Interessen geprägte Sichtweise, mit deren Hilfe die aufklärerischen Philosophen der frühen Neuzeit die Kirche bekämpfen wollten, wofür sie natürlich ihre Sicht der Religion als "wahr" ausgaben und die "Wissenschaft" als einzige Methode der "Wahrheitsfindung" zuließen. Sie ist geprägt von der Ideologie der Aufklärung.
Hier geraten wir dann doch wieder in epistemologische Fragen bezüglich der Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Wissenschaft und Religion als "handlungsleitender kultureller Wahrnehmungssysteme" hinein, die ich hier aus Zeitgründen erstmal nicht vertiefen will. Nur soviel: um diesen Gegensatz zu überwinden und die typischen Fallstricke eines "philosophischen" oder "ökonomischen" Blicks auf die Religion und eines "religiösen" Blicks auf die Wissenschaft und Philosophie zu vermeiden, brauchen wir eben eine Epistemologie, die sowohl Religion (und Kunst etc.) als auch Wissenschaft (und Philosophie etc.) als Formen derselben menschlichen Fähigkeit zur Wahrnehmung und Konstruktion von Bedeutungssystemen analysiert.
Versuche dazu haben eben v.a. Forscher unternommen, die kulturvergleichend tätig waren und es mit beiden Formen des Denkens zu tun bekamen – z.B. eben Gregory Bateson, oder Geoffrey Lloyd ("Demystifying Mentalities", "The Word and the Way"), und sehr vielversprechend scheint mir in dieser Hinsicht eben der Ansatz des Conceptual Blending von Fauconnier und Turner. (Buch: The Way We Think). In Bezug auf eine rationale Erklärung z.B. von "magischen" Ritualen aus der Sicht dieser Epistemologie: Jesper Sorensen, A Cognitive Theory of Magic .
Die ökonomische Seite des ganzen existiert natürlich, und man darf sie nicht ignorieren. Ich meine jedoch, daß die Ökonomie das Gesamtsystem erst im (spät-)modernen Kapitalismus dominiert, für die antiken Feudalsysteme dagegen eben die Religion bestimmend war und die redistributiven Umverteilungen dem untergeordnet waren. Das materialistische Paradigma, Ã la Marx für die gesamte Geschichte alles inclusive der Denkformen (Religion) ökonomisch erklären zu wollen, ist selber eine Ideologie.
Heinsohns Stärke besteht gerade darin, zu sehen, wofür dieses Paradigma taugt und wofür nicht - und eben die Staatsentstehung nicht rein öknomisch zu erklären, sondern dort den ökonomischen Aspekt als sekundären zu sehen, der erst dann, als die religiöse Funktion (Katastrophenprognose, rituelle Opfer etc.) nach Ende der Katastrophen wegfällt, als Interesse am Erhalt einer Macht, die einmal eine nichtökonomische Funktion hatte, weiterlebt (siehe dazu ansatzweise Heinsohn: Die Erschaffung der Götter, S. 126 ff.).
Um mal zusammenzufassen: ich wollte darauf hinaus, daß ein Kriterium für die Plausibilität eines Szenarios für die historischen Brüche 1) Staat und 2) Eigentum/Vertragsfreiheit/Schuldrecht/Zins/Geld seine Integrations- und Erklärungskraft sein muß.
Ein Szenario, das mehr der bekannten Fakten in ein schlüssiges Gesamtbild integrieren und dort erklären kann, ist plausibler als eines, das beispielsweise nur den ökonomischen Aspekt des ganzen erklärt.
Und da sehe ich in Heinsohns Szenarien (Staatsentstehung: "Die Erschaffung der Götter", Links siehe Ausgangsposting und Eigentums-/Zins-/Geldentstehung "Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft") – wenn ich auch mit manchen Details dort nicht übereinstimme – insgesamt einen schlüssigeren, weitaus erklärungskräftigeren Gesamtentwurf, den ich deshalb auch als Rahmen für mein eigenes Weiterfragen benutze - während die Religion in ihrem Szenario m.E. keinen schlüssigen, plausiblen Platz findet.
Nun noch (C) einige Antworten zu ihren Anmerkungen:
Sie schreiben:
„Religiöse“ Legitimation ist nunächst ein Stammes- und kein Staatsphänomen, von Staatsherrschern dann in einigen Fällen übernommen, wobei die „Religiosität“ in der Regel aus dem Ahnenkult stammt: der Ahn legitimiert seine Nachkommen, zu denken z.B. an die Oba-Figuren in Benin, die im Palast aufbewahrt wurden."
Das ist richtig, nur bleibt es für die Staatsherrscher eben nicht bei einem einfachen "Übernehmen", sondern es kommen ganz neuartige Phänomene hinzu: Sakrale Architektur, Sakrale Kunst mit öffentlichen Ritualen und Tänzen etc. etc.
Dazu nochmal Humphreys:
"Obwohl das religiöse Bewußtsein der Menschheit schon seit Jahrtausenden ausgeprägt ist, wurden erst in den letzten tausend Jahren große Anstrengungen und Mittel aufgewandt, um monumentale Zikkurate, Pyramiden, Tempel und Kirchen zu bauen. Dies ging meist mit der Entstehung eines Zentralstaates einher." (C. Humphrey / P. Vitebsky: Sakrale Architektur, S. 8).
Sie schreiben weiter:
"In anderen Fällen ist die Gottheit klar vom weltlichen Herrscher getrennt, siehe die verschiedenen Listen, z.B. in Mesopotamien Hunderte von Gottheiten, in Indien mehrere Hunterttausend. Darstellung u.a. die Hammurapi-Stele (Louvre) mit deutlicher Trennung von Gottheit und Herrscher."
Ich würde mich hier – in Anlehnung an Heinsohn - gerne auf die Entwicklung in Griechenland beschränken, auch deshalb, weil mein Ziel letztlich darin besteht, unsere heutige Gesellschaft zu verstehen, die sich seit der Renaissance ja aufs antike Griechenland beruft. Dort gab es ganz eindeutig vor der Polis (mit Eigentum, Freiheit, Zins, Geld, Demokratie etc.) ein religiös dominiertes mykenisches Feudalsystem, in dem Priesterkönige Opferrituale veranstalteten.
Auch vielfach säkulare Herrscher, die keinen Gottheitsanspruch erheben, auch wenn sie „metaphysisch“ argumentieren, z.B. Moses, Joshua, Etruskerkönige, germanische Chiefs, Dschinghis Khan usw.
In Griechenland bestenfalls nach der Revolution zur Polis. Hier spielt die Chronologiefrage herein, mit der ich mich zuwenig auskenne. Würde ich zunächst gern ausklammern.
Staatenbildung und Versuche dazu ohne Krieg nicht vorstellbar, cf. Flannery/Marcus („Origin of War“)
Natürlich, da es das aber zwischen Stammesgesellschaften auch gibt, ohne daß es automatisch zu Staaten mit Sakralarchitektur etc. führen würde, erklärt das nichts.
> Priesterkönigtümer,
Israel? Ägypten? Nordische Gebilde? Pazifik?
Mykene.
Palast ungleich Tempel.
Für Mykene: gleiche Funktion, s.u.
> in deren Zentrum ein religiöser Herrscher stand,
Nebukadnezar?
Mythisch überliefert sind eine Reihe, unter ihnen Perseus und Agamemmnon ... Quellenlage leider nicht sehr gut, aber einiges läßt sich aus den Linear-B-Entzifferungen entnehmen.
Ich zitiere mal Jean-Pierre Vernant, "Die Entstehung des griechischen Denkens":
"In den Händen des anax liegt auch die Verantwortung für das gesamte religiöse Leben. Er schreibt dessen Kalender in allen Einzelheiten vor, wacht über die Einhaltung der rituellen Vorschriften bei der Begehung der Feste zu Ehren der verschiedenen Götter und bestimmt die Tier- und Pflanzenopfer sowie die Höhe der Opfergaben, welche jder seiner Stellung entsprechend aufzubringen hat. Wenn sich demnach auch die königliche Gewalt auf alle Bereiche erstreckt, so kann man doch annehmen, daß der Souverän als solcher gerade durch seine Beziehung zur Welt des Religiösen ausgezeichnet und eng mit einer Priesterklasse verbunden ist, die zahlreich und mächtig zu sein scheint. Für diese Hypothes spricht, daß sich in Griechenland noch bis in die Zeit der Städte die Erinnerung an eine religiöse Funktion des Königtums erhalten hat und daß im Mythos der göttliche König fortgelebt hat, welcher über magische Kräfte verfügt, über die Zeiteinteilung gebietet und Fruchbarkeit spendet." (Jean-Pierre Vernant, "Die Entstehung des griechischen Denkens", S. 26)
[quote]dessen Aufgabe darin bestand, die gesellschaftliche Harmonie und die Himmelsharmonie (!!) sicherzustellen.[/quote]
Heinsohns These und durchaus beachtenswert. Aber nicht weltweit.
Ja, nicht weltweit. Mir geht es hier um die fürs abendländische Europa bestimmend gewordene Entwicklung in Griechenland. Generalisierbarkeit der These ist eine andere Diskussion.
> Die gesellschaftlichen Aktivitäten konzentrieren sich nicht auf Produktivitätsmaximierng etc. sondern immer auf religiöse Inhalte, die wir heute als "Kunst" bezeichnen: heilige Architektur, Bau von Tempeln, Pyramiden, Palästen, Kirchen, alle mit astrononischen Bezügen, Kunstgegenstände mit religiöser Bedeutung im Alltag, Rituale als Re-Enactment der Schöpfung, usw. usf.
Womit wurden die Anlagen finanziert, wenn nicht durch Abgaben bzw. Leibarbeit?
Natürlich über Abgaben und Leibarbeit. Das leugnet doch niemand. Der ökonomische Aspekt existiert, nur halte ich ihn, wie schon oben erläutert, nicht für das bestimmende Motiv, sondern für etwas, was sich erst aus der religiösen Aufgabe heraus (Katastrophenprognose auf der Basis astronom. Beobachtungen, symbol. Rituale etc.) ergibt.
Eliade geht es um Archetypen, er spart sich die mühsame historische Kleinarbeit.
Ja, dennoch ist eine vergleichende Perspektive wie seine aufschlußreich und interessant, um an einer speziellen Entwicklung wie der griechischen generelle (universelle) und spezielle (spezifisch griechische) Momente besser auseinanderhalten zu können.
Bei Evola Vorsicht (Mussolini, Himmler).
Ich weiß, daß sich auch diese beiden auf ihn berufen haben. Aber ich werde mich doch davon nicht abhalten lassen, seine Perspektive auf traditionale Staatsformen (im Gegensatz zu modernen) zur Kenntnis zu nehmen. Würde ich so denken, hätte ich ja auch Sie oder Heinsohn nie lesen dürfen. Hier gibt es historisches zu lernen, natürlich hat auch Evola eine subjektiv gefärbte Perspektive.
Es geht nicht um „Machtwillen“, sondern das altbekannte ökonomische Prinzip: Andere für sich arbeiten zu lassen, ist vom Machthalter (egal jetzt, wie „religiös“) aus gesehen produktiver als selbst zu arbeiten.
Siehe oben – halte ich für sekundär, nicht primär, da es nicht den enormen Aufwand für sakrale Aktivitäten erklärt.
> Die Entstehung der zweiten Stufe der Hochkultur - die genauso wie die der ersten bis heute in den zuständigen Fachdisziplinen als unerklärt gilt (Zitate dazu kann ich gern nachliefern) - mit privatem Grundeigentum, freien Männern, Vertragsrecht, Kredit, Zins und Geld und Philosophie - erklärt dottore als von oben gestartet.
Es gibt kein privates Grundeigentum, sondern – sofern Staat – nur Unter-Eigentum. Freie Männer waren Herrscher plus Clique. Kredit, Zins, Geld sind nicht „von unten“ entstanden (Gesellschaftsvertrag?).
Nur "Unter-Eigentum" ist richtig. Natürlich kann es - um mal heute gebräuchliche juristische Begriffe zu verwenden - Privatrecht (Recht der "Freien" – regelt Beziehungen zw. freien Bürgern / bourgeois und ist Recht der freien und Gleichen ) nur eingebettet in ein übergreifendes öffentliches Recht geben (regelt Beziehungen zwischen Staat und Bürgern, ist Herrschaftsrecht, Bürger als Citoyen). Bürger sind beides, freie und gleiche gegenüber anderen Bürgern, Untertan dem Staat gegenüber, wobei Demokratie den Versuch darstellt, das Volk zum Souverän zu erklären, also das Prinzip der Freiheit auch auf den Staat anzuwenden, soweit möglich).
Daß die Sphäre des öffentlichen Rechts (Herrschaftsrecht) der des Privatrechts übergeordnet ist, steht in jedem juristischen Lehrbuch. Bestenfalls liberale Ideologen können das übersehen.
> Ich meine, man kann diesen Prozess nur verstehen als eine revolutionäre Eroberung und Umfunktionierung der vormals priesterlichen (religiösen) Staatsmacht "von unten" durch freie Männer unter katastrophischen Sonderbedingungen (siehe Heinsohn: Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft, Kap. 1).
Der Katatstrophismus erklärt sehr wohl den Untergang der alten Führungsschichten (minoische Kultur usw.), aber nicht, warum es anschließend sofort wieder zur Bildung neuer Hierarchien kommt.
Richtig. Dafür historische Kleinarbeit plus wohlüberlegte Hypothesenbildung und Puzzlearbeit nötig. Tlw. Kontinuität qua Gewohnheit, tlw. aber auch revolutionäre Neuerungen. Frage immer, wie können wir Entstehung des Endprodukts (Polis-Demokratie etc.) hypothetisch aus in sozialen Verhältnissen begründeten, zielorientierten Handlungen der Akteure erklären.
> Nur das erklärt ja auch die darauf sowohl im antiken Griechenland als auch in der Moderne folgende bzw. damit einhergehende Kritik des Mythos bzw. der Religion, und das Entstehen eines ganz neuen Denkstils (griechische Philosophie, Wissenschaft und axiomatisch-deduktive Methode - Vorsokratiker bis Aristoteles), der "Aufklärung" (siehe dazu und zum Zusammenhang mit dem neuen, auf Freiheit beruhenden Gesellschaftssystem auch J.P. Vernant: Die Entstehung des griechischen Denkens, G.E.R. Lloyd: "Demystifying Mentalities" und "The Word and The Way" und Richard Seaford: "Money and the early Greek Mind".
Seaford setzt bei Homer an (Reziprozität, wie bekannt) und untersucht die Veränderung des griechischen Denkens nach dem Beginn der Münzprägungen. Das geänderte „griechische Denken“ ist zwar akademischer Fakt (Peripathie, Akademie etc.), aber wird durch die tatsächliche Entwicklung Griechenlands (Vorherrschaft, Söldner, attischer Bund usw.) in seiner „Wirkung“ auf das reale historische Geschehen widerlegt.
Ich weiß nicht, was sie mit der "Wirkung" meinen.
Ich frage sie, wie erklären sie diese Veränderung des Denkens auf der Basis ihres Szenarios. Mir erschließt sich nicht, wozu der enorme Aufwand einer kompletten Umwälzung des Denkens (vom Mythos zum Logos – Religionskritik, Philosophie seit Vorsokratikern etc.) notwendig gewesen sein sollte, wenn es nur um Machtmaximierung oder ökonomische Ausbeutung aus Bequemlichkeit gegangen sein soll.
> Kurz und gut, dottores ökonomistische / materialistische Szenarien halte ich für letztlich zirkulär,
Sind es Szenarien? Ich versuche mich an die Fakten der Macht- und Gewaltgeschichte zu halten.
Natürlich. Aber zu meinen, man tue dies ohne Vorannahmen, die die Wahrnehmung der Fakten beeinflußt und strukturiert, halte ich für atemberaubend naiv. Sicher eine typische Haltung, in der sich wissenschaftlich denkende gerne gefallen – sie hat aber damit, wie menschliche Wahrnehmung funktioniert, nichts zu tun. Sie ein Positivist? Kann ich mir im Grunde nicht vorstellen. Natürlich ist ihr Modell ein Szenario. Historische Wahrheit ist eine Fiktion. Aber über die Kriterien für die Plausibilität von Szenarien kann man diskutieren (s.o.). Integrationskraft ist eines davon. Ansonsten kämen wir hier wieder auf epistemologische Fragen.
> sie erklären mir einfach zuwenig, besonders im Hinblick auf das Religionsphänomen und dann die Revolution "vom Mythos zum Logos".
Das sind Denkschemata, unter „Revolution“ definiere ich Umsturz.
Richtig, "Revolution des Denkens" = Metapher. Was ich meinte, war – die Entstehung der griechischen Philosophie aus der Religionskritik der ersten griech. Philosophen (ab Vorsokratik) heraus. Meine These wäre, daß diese Revolution im Denken der Absicherung der neuen Staatsform dient – um zu vermeiden, daß die alten Herrschaftsverhältnisse (mykenischer Anax) wiederhergestellt werden, muß die alte Form des Denkens (jetzt, da Katastrophen vorüber, funktionslose Hülle und nur noch Gewohnheit) abgestreift und eine neue Staatsideologie entwickelt werden (Demokratie , Herrschaft des Gesetzes statt des Köngis etc.).
Erkenntnistheorien sind gewiss wichtig, tragen mE aber zur Interpretation des realwirtschaftlichen Ablaufs nichts bei.
Auch richtig. Aber sie helfen zu erkenne, wo man es mit Fakten und wo mit Szenarien zu tun hat, und wo rein ökonomische Erklärungen sinnvoll und wo sie nicht sinnvoll sind, weil die Ökonomie sekundär und eben nicht dominierend ist.
Ich verstehe auch nicht, warum das simple debitistische Konzept „philosophiert“ werden soll.
Welches denn? Ihre Erklärung der Geldwirtschaft hat mir größtenteils eingeleuchtet, ihre debitistische Philosophie dagegen nie.
Obwohl vermutlich jeder vernünftige Mensch z.B. Nuklearwaffen ablehnt (Philosophen voran), existieren sie nach wie vor.
Auch klar, was mir nicht klar ist, ist, worauf sie damit hinauswollen. Was hat dies mit der Erklärung von Zins und Staatsentstehung zu tun?
Metaphysik („Engel“) ist nicht mein Fach.
Meines auch nicht, Titel unglücklich gewählt – Bateson geht es um einen epistemologischen Rahmen, in dem sich die gesamte Breite des Materials, mit dem Anthropologen bei ihren kulturvergleichenden Untersuchungen es zu tun bekommen, schlüssig einfügen läßt (eben auch wissenschaftliche und religiöse Denkformen). Ist für unsere obige Diskussion aber auch zunächst Nebensache.
Niezsche in „Menschliches...“: „Der Krieg unentbehrlich“ (477). Nur ist der Krieg halt keine Metapher.
Natürlich ist der keine Metapher, hatte ja auch niemand behauptet. Entbehrlich ist er in alternden Gesellschaften, die für ihn zu alt und zu müde sind.
> Sehr wohl nachvollziehbar
Hoffentlich jetzt noch etwas besser.
Gruß
moneymind
@dottore - Nachtrag contra debitistische Zinstheorie (Zinserklärung aus Abgaben)
moneymind, Donnerstag, 16.04.2009, 14:27 (vor 5915 Tagen) @ dottore
Hallo dottore,
ich knüpfe nochmals an die Überlegungen zur Zinstheorie in Posting 96066 und dort verlinkten Vorpostings an und ergänze:
Für die Entwicklung in Griechenland (polis) bemerkt Richard Pipes, daß
"In ancient Athens, landownership and citizenship were indissolubly linked, in that only citizens could own land and only landowners could be citizens; noncitizens could pursue finance and commerce, they could lease land and mines, but they could not own real estate ... Athenian citizens were not taxed, considering taxation a hallmark of lower status ..." (Richard Pipes: Property and Freedom, New York 1999, S. 101)
Und für Rom:
"In ancient Rome, only land located on the Italian peninsula, the so called ager Romanus, could be held as absolute Property (known as quiritarian ownership), and only by Roman Citizens. It was not taxed. Land which Rome conquered became ager publicus and as such was subject to tax (a form of tribute): it was either leased or colonized but, being state property, it could not be fully owned. " (Richard Pipes: Property and Freedom, New York 1999, S. 104)
Schlußfolgerung für die Zinstheorie:
Wir wissen nun also, daß Geldschöpfung "landownership" voraussetzt, nur "citizens" (freie Bürger) Grundeigentümer sein und damit Geld schöpfen konnten und genau diese freien Grundeigentümer eben keine Steuern zahlten, sondern der Staat sich aus der Ausbeutung der unfreien Nicht-Bürger reproduzierte. Gleichzeitig wissen wir, daß es den Zins aber sehr wohl gab (von Aristoteles ausführlich als "naturwidrig" kritisiert - "Chrematistik").
Daher kann man die Abgaben hier nicht zur Erklärung des Zinses heranziehen, so wie sie das tun.
Vielmehr müssen wir unter diesen Voraussetzungen eine Zinstheorie finden, die Zins ohne Abgaben, allein aus individualisiertem Existenzrisiko (Abwesenheit von stammesgesellschaftlich Solidar- und Hilfspflichten sowie feudalen Abgaben und Zuteilungen), und aus ("Unter-") Eigentum und dessen individueller Verlierbarkeit durch Vollstreckung (dann auch Verlust der citizenship) und schuldrechtlicher Haftung begründet.
Die Heinsohn/Steigersche Zinstheorie ("Eigentumsblockierung" - Verzicht auf freie Verkauf- und Belastbarkeit als angeblicher Zinsgrund) ist aber nicht haltbar - darüber bin ich mit Ihnen einig.
Die Zinsbegründung, die ich in 96066 und den dort verlinkten Vorpostings skizziert habe - Zins als Prämie für die Umwandlung einer Forderung in eine besser gesicherte Forderung höheren Liquiditätsgrades durch Bereitstellen zusätzlichen haftenden Vermögens - , erfüllt aber diese Bedingungen (und zeigt auch deutlich, warum Eigentum, Freiheit, Zins und Geld unauflöslich miteinander verknüpft sind und Zinsverbote nicht funktionieren können).
Daß eine freie Wirtschaft ohne Staat mit einem die freie Wirtschaft übergreifenden Herrschaftsrecht und Machtmonopol nicht existieren kann, sondern nur eingebettet in diesen, bleibt dabei von mir völlig unbestritten.
Es würde mich freuen, wenn Sie kurz ihre Sicht der Dinge zu dieser Zinserklärung posten könnten.
Gruß
moneymind
Pipes ist, wiewohl Harvard, nicht ganz sauber
dottore , Freitag, 17.04.2009, 17:37 (vor 5914 Tagen) @ moneymind
Hi moneymind,
Für die Entwicklung in Griechenland (polis) bemerkt Richard Pipes, daß
"In ancient Athens, landownership and citizenship were indissolubly
linked, in that only citizens could own land and only landowners could be
citizens;
Richtig. Nur müssen die Landowner von etwas gelebt haben, den Abgaben ihrer Pächter, da sie selbst nicht den Acker bestellten. Der Pächter hatte sein SOLL zu erfüllen, wie alle Pächter. Schaffte er es nicht, musste er das Abgabengut leihen. Die darüber ausgestellte Urkunde ("syngraphos") war ihrerseits diskontierbar - und damit war der Zins die logische Folge.
noncitizens could pursue finance and commerce, they could lease
land and mines, but they could not own real estate ... Athenian citizens
were not taxed, considering taxation a hallmark of lower status ..."
(Richard Pipes: Property and Freedom, New York 1999, S. 101)
Alles richtig, aber wie Wagschall u.a. nachgewiesen haben waren die Nichtbürger (Hintersassen, Metöken, in Sparta Heloten, Messener) die Abgabenverpflichteten.
Und für Rom:
"In ancient Rome, only land located on the Italian peninsula, the so
called ager Romanus, could be held as absolute Property (known as
quiritarian ownership), and only by Roman Citizens.
Das stimmt nicht für die italischen Provinzen, die bekanntlich von den Prokonsuln ausgebeutet wurden, von Gallia Cisalpina bis Sizilien.
It was not taxed.
Land which Rome conquered became ager publicus and as such was subject to
tax (a form of tribute):
Damit haben wir doch das Gesuchte: den Tribut.
it was either leased or colonized but, being state
property, it could not be fully owned. [/b]" (Richard Pipes: Property and
Freedom, New York 1999, S. 104)[/i]
Schlußfolgerung für die Zinstheorie:
Wir wissen nun also, daß Geldschöpfung "landownership" voraussetzt,
Klar, aber es konnte zunächst nicht auf eigenes Land gezogen werden. Das änderte sich erst in der späteren Republik, wo z.B. Catilina "novae tabulae" forderte. Da gab es reiche und arme Senatoren und Ritter. Wie hätte sonst Publius Spinther an sein Vermögen kommen können, das er im Tiberius-Crash verlor?
nur
"citizens" (freie Bürger) Grundeigentümer sein
Abgabenfreie Bürger. Das war ja das Elend nach 200 AD, als im ganzen Imperium jeder civis Romanus wurde, Rom es aber nicht schaffte, neue Tribute zu generieren und also zur Münzverschlechterung greifen musste (Galienus schafft sogar den Sesterz ab).
und damit Geld schöpfen
konnten und genau diese freien Grundeigentümer eben keine Steuern
zahlten, sondern der Staat sich aus der Ausbeutung der unfreien
Nicht-Bürger reproduzierte.
Ja, bis eben jeder das Bürgerrecht erhielt.
Gleichzeitig wissen wir, daß es den Zins aber
sehr wohl gab (von Aristoteles ausführlich als "naturwidrig" kritisiert -
"Chrematistik").
Ja, aber er selbst zahlte keinen. Die schriftliche Überlieferung der Stelle ist etwas windig. Wo waren die Schriften des A. jahrhundertlang versteckt?
Daher kann man die Abgaben hier nicht zur Erklärung des Zinses
heranziehen, so wie sie das tun.
Doch gerade. Abgabe (Tribut) ---> Zins.
Vielmehr müssen wir unter diesen Voraussetzungen eine Zinstheorie
finden, die Zins ohne Abgaben, allein aus individualisiertem
Existenzrisiko (Abwesenheit von stammesgesellschaftlich Solidar- und
Hilfspflichten sowie feudalen Abgaben und Zuteilungen), und aus ("Unter-")
Eigentum und dessen individueller Verlierbarkeit durch Vollstreckung (dann
auch Verlust der citizenship) und schuldrechtlicher Haftung begründet.
Die herrschende Schicht (Latifundistas usw.) bestand schließlich aus Reichen und Armen. Es wurde auch nicht mit Krediten, sondern Wechseln gearbeitet. iese hatten Ziel zum Jahresende (Februar) und es kamen zwei Wochen "Respekttage" hinzu. Daher der Mord an Caesar, weil er statt Cash zulassen wollte, dass auch Grundbesitz (zu früheren Werten) an Zahlungs Statt akzeptiert werden sollte (lex Julia de bonis cedendis). Das passte der Gläubigerfraktion im Senat nicht (Brutus, Cinna usw.).
Die Heinsohn/Steigersche Zinstheorie ("Eigentumsblockierung" - Verzicht
auf freie Verkauf- und Belastbarkeit als angeblicher Zinsgrund) ist aber
nicht haltbar - darüber bin ich mit Ihnen einig.
Ja.
Die Zinsbegründung, die ich in
96066
und den dort verlinkten Vorpostings skizziert habe - Zins als Prämie für
die Umwandlung einer Forderung in eine besser gesicherte Forderung höheren
Liquiditätsgrades durch Bereitstellen zusätzlichen haftenden Vermögens -
, erfüllt aber diese Bedingungen (und zeigt auch deutlich, warum Eigentum,
Freiheit, Zins und Geld unauflöslich miteinander verknüpft sind und
Zinsverbote nicht funktionieren können).
Ja, später. Wir müssen Athen und Rom zunächst als ausbeutende Mächte begreifen. Athen finanzierte sich über den attischen Seebund bis zur Niederlage gegen Sparta (vorher schon das Syrakus-Desaster), Rom über seine Provinzen bzw. holte sich Tribut ex Karthago, den attischen Bund (Quaestor = Steuereintreiber Aesilas), Gallien, Britannien (die mussten hochmögendes Personal als "Geiseln" stellen, usw.)
Daß eine freie Wirtschaft ohne Staat mit einem die freie Wirtschaft
übergreifenden Herrschaftsrecht und Machtmonopol nicht existieren kann,
sondern nur eingebettet in diesen, bleibt dabei von mir völlig
unbestritten.
Ja. Sehe ich genauso.
Danke für die viele Mühe + Gruß!
Danke + Fragen
moneymind, Sonntag, 19.04.2009, 15:51 (vor 5912 Tagen) @ dottore
Hallo dottore,
und vielen Dank für die Erläuterungen.
Für die Entwicklung in Griechenland (polis) bemerkt Richard Pipes, daß
"In ancient Athens, landownership and citizenship were indissolubly
linked, in that only citizens could own land and only landowners could
be
citizens;
Richtig. Nur müssen die Landowner von etwas gelebt haben, den Abgaben
ihrer Pächter, da sie selbst nicht den Acker bestellten. Der Pächter
hatte sein SOLL zu erfüllen, wie alle Pächter. Schaffte er es nicht,
musste er das Abgabengut leihen. Die darüber ausgestellte Urkunde
("syngraphos") war ihrerseits diskontierbar - und damit war der Zins die
logische Folge.
Könnten Sie Belege für entsprechende Dokumente nennen, aus denen auch hervorgeht, ob die Pächter Freie, Sklaven oder etwas anderes waren, und mit welchen Folgen sie im Fall der Nichterfüllung rechnen mußten (Vollstreckung? In was? Physische Strafen? etc.).
Sorry für die Frage, vielleicht wurde das hier oder im alten Elliott-Forum längst gepostet. Vielleicht kann jemand anders einen entsprechenden Link nennen. Ansonsten wäre ich sehr an einer systematischen Darstellung der debitistischen Theorie von Ihnen interessiert, vielleicht in Buchform, oder im Internet, mit Verweisen auf die entsprechenden Postings hier. Es ist einfach sehr mühsam, ohne systematische Gesamtdarstellung mit der Suchfunktion Zipfel um Zipfel suchen oder nachfragen zu müssen. Das würde es ja auch Ihnen ersparen, ständig dieselben Nachfragen beantworten zu müssen.
Für ihre Geduld beim Beantworten jedenfalls herzlichen Dank.
noncitizens could pursue finance and commerce, they could lease
land and mines, but they could not own real estate ... Athenian
citizens
were not taxed, considering taxation a hallmark of lower status[/b]
..."
(Richard Pipes: Property and Freedom, New York 1999, S. 101)
Alles richtig, aber wie Wagschall u.a. nachgewiesen haben waren die
Nichtbürger (Hintersassen, Metöken, in Sparta Heloten, Messener) die
Abgabenverpflichteten.
Ja, aber warum verlangten die Freien untereinander Zins? Dieser Zins kann ja dann mit den Abgaben nichts zu tun haben. Ist das "Zins3" des debitismus? Und was genau hat er mit Zins 1 und 2 zu tun?
Und für Rom:
"In ancient Rome, only land located on the Italian peninsula, the so
called ager Romanus, could be held as absolute Property (known as
quiritarian ownership), and only by Roman Citizens.
Das stimmt nicht für die italischen Provinzen, die bekanntlich von den
Prokonsuln ausgebeutet wurden, von Gallia Cisalpina bis Sizilien.
It was not taxed.
Land which Rome conquered became ager publicus and as such was subject
to
tax (a form of tribute):
Damit haben wir doch das Gesuchte: den Tribut. [/b]
Den hat ja auch niemand bestritten. Was mir nicht klar ist, ist, was er mit dem Zins, den die ja steuerbefreiten Freien untereinander verlangten.
it was either leased or colonized but, being state
property, it could not be fully owned. " (Richard Pipes: Property
and
Freedom, New York 1999, S. 104)[/i]
Schlußfolgerung für die Zinstheorie:
Wir wissen nun also, daß Geldschöpfung "landownership" voraussetzt,
Klar, aber es konnte zunächst nicht auf eigenes Land gezogen werden.
D.h. Grundeigentum war nicht per Vollstreckung verlierbar?
Das
änderte sich erst in der späteren Republik, wo z.B. Catilina "novae
tabulae" forderte. Da gab es reiche und arme Senatoren und Ritter. Wie
hätte sonst Publius Spinther an sein Vermögen kommen können, das er im
Tiberius-Crash verlor?
nur
"citizens" (freie Bürger) Grundeigentümer sein
Abgabenfreie Bürger. Das war ja das Elend nach 200 AD, als im ganzen
Imperium jeder civis Romanus wurde, Rom es aber nicht schaffte, neue
Tribute zu generieren und also zur Münzverschlechterung greifen musste
(Galienus schafft sogar den Sesterz ab).
und damit Geld schöpfen
konnten und genau diese freien Grundeigentümer eben keine Steuern
zahlten, sondern der Staat sich aus der Ausbeutung der unfreien
Nicht-Bürger reproduzierte.
Ja, bis eben jeder das Bürgerrecht erhielt.
Gleichzeitig wissen wir, daß es den Zins aber
sehr wohl gab (von Aristoteles ausführlich als "naturwidrig" kritisiert
-
"Chrematistik").
Ja, aber er selbst zahlte keinen. Die schriftliche Überlieferung der
Stelle ist etwas windig. Wo waren die Schriften des A. jahrhundertlang
versteckt?
Daher kann man die Abgaben hier nicht zur Erklärung des Zinses
heranziehen, so wie sie das tun.
Doch gerade. Abgabe (Tribut) ---> Zins.
Warum dann Zins in Vertragsbeziehungen zwischen den steuerbefreiten Freien?
Vielmehr müssen wir unter diesen Voraussetzungen eine Zinstheorie
finden, die Zins ohne Abgaben, allein aus individualisiertem
Existenzrisiko (Abwesenheit von stammesgesellschaftlich Solidar- und
Hilfspflichten sowie feudalen Abgaben und Zuteilungen), und aus
("Unter-")
Eigentum und dessen individueller Verlierbarkeit durch Vollstreckung
(dann
auch Verlust der citizenship) und schuldrechtlicher Haftung begründet.
[/b]
Die herrschende Schicht (Latifundistas usw.) bestand schließlich aus
Reichen und Armen. Es wurde auch nicht mit Krediten, sondern Wechseln
gearbeitet.
Sind Wechsel nicht eine Form von Kredit?
Diese hatten Ziel zum Jahresende (Februar) und es kamen zwei
Wochen "Respekttage" hinzu. Daher der Mord an Caesar, weil er statt Cash
zulassen wollte, dass auch Grundbesitz (zu früheren Werten) an Zahlungs
Statt akzeptiert werden sollte (lex Julia de bonis cedendis). Das passte
der Gläubigerfraktion im Senat nicht (Brutus, Cinna usw.).
Die Heinsohn/Steigersche Zinstheorie ("Eigentumsblockierung" - Verzicht
auf freie Verkauf- und Belastbarkeit als angeblicher Zinsgrund) ist
aber
nicht haltbar - darüber bin ich mit Ihnen einig.
Ja.
Die Zinsbegründung, die ich in
und den dort verlinkten Vorpostings skizziert habe - Zins als Prämie
für
die Umwandlung einer Forderung in eine besser gesicherte Forderung
höheren
Liquiditätsgrades durch Bereitstellen zusätzlichen haftenden
Vermögens -
, erfüllt aber diese Bedingungen (und zeigt auch deutlich, warum
Eigentum,
Freiheit, Zins und Geld unauflöslich miteinander verknüpft sind und
Zinsverbote nicht funktionieren können).
Ja, später.
Ja?
Entspricht diese Zinstheorie dann dem Zins 3 des debitismus? Mir leuchtet nach wie vor ein, den Zins mit dem individualisierten Existenzrisiko der Freien und der Verlierbarkeit von Eigentum durch Vollstreckung in Verbindung zu bringen, nur erkläre ich ihn mir eben anders als H/S als Risikoprämie (wie in den oben verlinkten Postings beschrieben).
Gruß
moneymind
Kein Widerspruch zu Dottore
chiron, Dienstag, 14.04.2009, 14:08 (vor 5917 Tagen) @ moneymind
Hi moneymind
Du schreibst, dass dir dottores Erklärungen zu wenig einleuchten, da es eindeutig sei, daß die ersten Staaten durch und durch von Religion bestimmt waren.
Dazu muss man aber die Frage stellen, was Religion eigentlich ist.
Es geht letztlich um Glaube und der Glaube bestimmt auch die heutige Welt. Die Elite glaubte an den freien Markt und missionierte auch. Der Glaube ist das bestimmende Element. Alle nehmen für sich in Anspruch, eine bessere Welt schaffen zu wollen. Früher wurde dies nur anders genannt. Die Herrscher wollten Gott gefallen. Inwiefern sie daran glaubten oder ob es reine PR war, um den eigenen Machtanspruch zu festigen, bleibt aussen vor.
Genau so wenig wissen wir heute, ob die Marktmissionare an das, was sie jahrelang predigten, auch wirklich glaubten, oder ob es darum ging, den eigenen Profit zu maximieren.
Nach meiner Auffassung gibt es inhaltlich zu früher keinen Unterschied, nur die Form (die PR-Strategie) hat sich geändert.
Grundsätzlich wollten aber alle immer nur unser Bestes: Geld und Arbeitskraft.
Gruss chiron
Glaube
moneymind, Dienstag, 14.04.2009, 18:13 (vor 5917 Tagen) @ chiron
Hi chiron,
Du schreibst, dass dir dottores Erklärungen zu wenig einleuchten, da es
eindeutig sei, daß die ersten Staaten durch und durch von Religion
bestimmt waren.Dazu muss man aber die Frage stellen, was Religion eigentlich ist.
Ja, ist hilfreich.
Es geht letztlich um Glaube und der Glaube bestimmt auch die heutige Welt.
Ja, auch die Philosophie der Aufklärung (Freiheit, Gleichheit, Markt, Demokratie) ist ein Glaubenssystem. Aber keine Religion, sondern eine Philosophie - da sollte man über den Gemeinsamkeiten die Unterschiede nicht vergessen.
Glaubenssysteme sind für mich Systeme, die konstruierte Annahmen über die Welt und darüber, wie die menschliche Gesellschaft strukturiert sein sollte und wie Menschen sich "richtig" verhalten sollten, enthalten, diese aber nicht als Annahmen, sondern als "Wahrheit" darstellen. Das trifft sowohl auf Religionen wie auf die Philosophie der Aufklärung zu, aber Religionen befürworten in der Regel "monarchische" Staatsformen und begründen das mithilfe eher metaphorisch strukturierter Bedeutungssysteme, die Philosophie der Aufklärung befürwortet eben Freiheit, Gleichheit und Demokratie und bekämpft daher religiöse Weltbilder, natürlich im Namen der angeblichen "Wahrheit" in Form des "Naturrechts" etc.
Kann das hier nicht weiter vertiefen, später vielleicht.
Die Elite glaubte an den freien Markt und missionierte auch. Der Glaube ist
das bestimmende Element. Alle nehmen für sich in Anspruch, eine bessere
Welt schaffen zu wollen. Früher wurde dies nur anders genannt.
Bessere Welt (Heil bzw. Erlösung) - ja. Aber nur in der modernen Geldwirtschaft über Geld und Arbeit. Religionen haben andere Strategien (kann Askese sein, gutes Familienleben etc.).
Die
Herrscher wollten Gott gefallen. Inwiefern sie daran glaubten oder ob es
reine PR war, um den eigenen Machtanspruch zu festigen, bleibt aussen vor.Genau so wenig wissen wir heute, ob die Marktmissionare an das, was sie
jahrelang predigten, auch wirklich glaubten, oder ob es darum ging, den
eigenen Profit zu maximieren.
Ja, schwer zu sagen - könnte sein, könnte auch sein, daß sie mangels Durchblick wirklich daran glaubten.
Nach meiner Auffassung gibt es inhaltlich zu früher keinen Unterschied,
nur die Form (die PR-Strategie) hat sich geändert.
Kann man so sehen, ja.
Grundsätzlich wollten aber alle immer nur unser Bestes: Geld und
Arbeitskraft.
Nein. Viele religiös bestimmte Gesellschaften kennen überhaupt kein Geld, und auch keine "Arbeit", schau mal in die ökonomische Anthropologie rein.
Was Du da schreibst - "alle wollen nur unser Geld und unsere Arbeitskraft" - halte ich für eine falsche Verallgemeinerung, eine Rückprojektion aus der Erfahrung unserer heutigen Gesellschaft, in der Geld und Arbeit ja tatsächlich im Zentrum stehen.
Religion und religiös bestimmte Gesellschaften kann man aber nicht darauf reduzieren - meine ich jedenfalls.
Gruß
moneymind
Ergänzung
Zandow, Sonntag, 12.04.2009, 02:49 (vor 5919 Tagen) @ moneymind
Hi moneymind,
SUPER posting.
Viele Quellen und Verweise hast Du gezeigt. SO wünsche ich mir das hier. Werde mir Dein posting in der Woche nach Ostern mal in Ruhe reinziehen.
Nun dies:
Zur Staatsentstehung finden sich (für mich) zwei wichtige Hinweise bei Probst und Bernbeck. Probst schreibt (bin über Ostern weitab von zu Hause und kann deswegen nicht auf die konkrete Quelle verweisen) ungefähr so: Der Schamane war der Erste, der ein arbeitsloses Einkommen erzielte.
Und Bernbeck schreibt: Aus diesen Verteilungsinstitutionen ist wahrscheinlich der Staat entstanden. (Im alten Elli-Forum hatte ich den Bernbeck mal in einem längeren posting vorgestellt. Dürfte so Ende 2004 gewesen sein. Wenn ich dieses alte posting kommmende Woche finde, verlinke ich's hier zu Dir.)
Dank und einen schönen Ostersonntag wünschend, Zandow
Kleiner Service
Hausmeister , Sonntag, 12.04.2009, 13:53 (vor 5919 Tagen) @ Zandow
Grundsatzposting zu Bernbeck noch nicht gefunden
Zandow, Montag, 13.04.2009, 03:05 (vor 5918 Tagen) @ Hausmeister
Hi Hausmeister,
Vielleicht ist es
dieses
hier?
Nee, das ist es nicht. Thread-Titel war damals (ca. Ende 2004?) wohl "Bernbeck in 43 Punkten" o.s.ä.
Bin übermorgen wieder zu Hause, dann find' ich's auch im alten Elli-Forum.
War übrigens eine interessante Diskussion damals mit dottore und anderen den Bernbeck betreffend. Habe irre viel gelernt dabei.
So, nun noch den Ostermontag genießen!
Gruß in die Runde und Dank für Verlinkung, Zandow
Hier:
Reikianer , Montag, 13.04.2009, 03:50 (vor 5918 Tagen) @ Zandow
Thread-Titel war damals (ca. Ende 2004?) wohl
"Bernbeck in 43 Punkten" o.s.ä.
http://www.dasgelbeforum.de.org/30434/messages/304858.htm
Zur Suche im alten Forum:
http://www.dasgelbeforum.de.org/forum_entry.php?id=95016
Beste Grüße
Jupp und Dank
Zandow, Dienstag, 14.04.2009, 15:28 (vor 5917 Tagen) @ Reikianer
Hi Reikianer,
Thread-Titel war damals (ca. Ende 2004?) wohl
"Bernbeck in 43 Punkten" o.s.ä.
Jupp, genau das meinte ich. Ging ja schnell bei Dir und erspart mir die Suche.
Zur Suche im alten Forum:
Dank für den Hinweis!
Man bräuchte nur noch irgend ein System für die Archivierung der wichtigsten postings zu den vielen Themen.
Dir eine gute Woche wünschend und Dank und Gruß, Zandow
Der Schamane
beni, Sonntag, 12.04.2009, 14:44 (vor 5919 Tagen) @ Zandow
Hallo,
Ich kann nicht sagen,ob es überall so ist, aber bei vielen Völkern, z.B.Hopi erzielt der Schamane kein arbeitsloses Einkommen. Er ist Bauer wie die anderen, seine Schamanenarbeit leistet er zusätzlich. Ich empfehle allen Interessierten ganz dringend den Film 'Schamanen im blinden Land', als DVD beim Züricher Völkerkundemuseum erhältlich.
m@G, Benedikt
Zur Staatsentstehung finden sich (für mich) zwei wichtige Hinweise bei
Probst und Bernbeck. Probst schreibt (bin über Ostern weitab von zu Hause
und kann deswegen nicht auf die konkrete Quelle verweisen) ungefähr so:
Der Schamane war der Erste, der ein arbeitsloses Einkommen erzielte.
Schamane
Zandow, Montag, 13.04.2009, 03:19 (vor 5918 Tagen) @ beni
Hallo beni,
Ich kann nicht sagen,ob es überall so ist, aber bei vielen Völkern,
z.B.Hopi erzielt der Schamane kein arbeitsloses Einkommen. Er ist Bauer wie
die anderen, seine Schamanenarbeit leistet er zusätzlich.
die Literatur zum Schamanentum ist extrem dünn. Aus der doch dem widersprechenden doch sehr reichhaltigen antropologischen Literatur lassen sich jedoch kaum oekonomische Betrachtungen ziehen. Sehr schwierig dies! Die Völkerforscher haben (alle Achtung davor!) nur beschrieben, was sie gesehen haben. Eine oekonomische Sicht der Abläufe war und ist ihnen jedoch bis heute fremd.
Ich empfehle
allen Interessierten ganz dringend den Film 'Schamanen im blinden Land',
als DVD beim Züricher Völkerkundemuseum erhältlich.
Dank für diesen Hinweis. Werde dies in meine Sammlung aufnehmen.
Gute Woche wünschend, Zandow
Schamanen + Ökonomie
moneymind, Dienstag, 14.04.2009, 17:59 (vor 5917 Tagen) @ Zandow
Hi Zandow,
Ich kann nicht sagen,ob es überall so ist, aber bei vielen Völkern,
z.B.Hopi erzielt der Schamane kein arbeitsloses Einkommen. Er ist Bauer
wie
die anderen, seine Schamanenarbeit leistet er zusätzlich.
die Literatur zum Schamanentum ist extrem dünn. Aus der doch dem
widersprechenden doch sehr reichhaltigen antropologischen Literatur lassen
sich jedoch kaum oekonomische Betrachtungen ziehen. Sehr schwierig dies!
Die Völkerforscher haben (alle Achtung davor!) nur beschrieben, was sie
gesehen haben. Eine oekonomische Sicht der Abläufe war und ist ihnen
jedoch bis heute fremd.
Ja, finde schön, daß Du das zur Kenntnis nimmst und Dich da nicht von materialistischen Vorannahmen (Paradigma / Dogma / Forschungsprogramm etc.) allzusehr blenden läßt. Man kann ja Stammesgesellschaften auch ökonomisch betrachten, aber wird eben feststellen, daß die Ökonomie da eine ganz andere (und eben keine bestimmende) Rolle spielt. Gerade ökonomische Anthropologen haben das bemerkt, z.B. ein Klassiker: [link=http://]Marshall Sahlins: The original affluent Society.[/link]
Heinsohn hat die ökonomische Anthropologie ja studiert und argumentiert systematisch mit ihr.
Viele Grüße!
moneymind
Arbeitsloses Einkommen + Staat
moneymind, Dienstag, 14.04.2009, 17:53 (vor 5917 Tagen) @ Zandow
Hi Zandow,
SUPER posting.
![]()
Danke, waren ja nur Links.
Zur Staatsentstehung finden sich (für mich) zwei wichtige Hinweise bei
Probst und Bernbeck. Probst schreibt (bin über Ostern weitab von zu Hause
und kann deswegen nicht auf die konkrete Quelle verweisen) ungefähr so:
Der Schamane war der Erste, der ein arbeitsloses Einkommen erzielte.
Ich meine gerade, darum ging es gerade nicht. Immer nur nach ökonomischen Gründen zu suchen, entspricht dem Marxschen materialistischen Geschichtsbild. Hat für Geldwirtschaften etwas für sich, aber in anderen Gesellschaftsformen dominiert die Ökonomie m.E. nicht in dem Maß, obwohl sie natürlich eine unverzichtbare Rolle spielt. Siehe meine Antwort an dottore. Das Marxsche Basis-Überbau-Theorem funktioniert dort nicht, übrigens für den modernen Staat auch nicht. Marx´s Dogma, daß alle Denk- und Staatsformen aus den materiellen Verhältnissen abzuleiten seien, konnte er ja nicht mal für den modernen Staat bestätigen. Seine geplante Staatstheorie (siehe Entwurf in den "Grundrissen ...") bekam er nie hin, weil er qua Tauschparadigma den Zusammenhang von Rechtssphäre und Ökonomie (Eigentum - Vertrag - Kredit - Geld) verpaßt hat. Basis/Überbau-Theorem trifft dann zwar zu, nachdem eine Eigentumswirtschaft etabliert ist (z.B. mod. Arbeitsrecht komplett aus der Ökonomie zu erklären), aber eben nicht für die Etablierung von Privatrecht, das dann Geldwirtschaft (qua Eigentumsökonomik und Debitismus) nach sich zieht.
Und Bernbeck schreibt: Aus diesen Verteilungsinstitutionen ist
wahrscheinlich der Staat entstanden.
Ist vom materialistischen B/Ü-Paradigma (um es mal nicht Dogma zu nennen) angeleitete Spekulation, die Probleme mit der Erklärung der Religion bekommt. Erklärung der Religion war für Marx auch kein Thema - nur ReligionsKRITIK (Zweck: Durchsetzung der aufklärerischen Ideen von Freiheit und Gleichheit etc.).
So sehe ich das jedenfalls.
Viele Grüße!
moneymind
Die Erschaffung der Götter.
MariaBitterlich , Montag, 27.04.2009, 19:33 (vor 5904 Tagen) @ moneymind
Mi MM,
zum Heinsohnschen Szenario der Entstehung der ersten Stufe der Hochkultur
(Priesterkönigtum, zuständig für Opferrituale, redistributiv versorgt
durch Abgaben), die ja ganz anders ausfällt als bei Dottore, der da Franz
Oppenheimer folgt, hast Du ja mittlerweile neben dem
Kurzaufsatz
sein Buch "Die Erfindung der Götter" [Erschaffung, nicht Erfindung A.v.M.]
(Rezension,
Zusammenfassung,
Kritik eines
Katatrophisten-Kollegen).
Jetzt habe ich das Buch endlich ausgelesen und kann es nur wärmstens empfehlen. Leider fehlen mir theologische und bronzezeithistorische Kenntnisse um wirklich mitargumentieren zu können, aber die Heinsohn'sche Theorie ist nachvollziehbar und erklärt für mich viel Unererklärliches. Manchmal nervt sein Philosemitismus (den Antisemitismus auf das Opferverbot im Judentum zurückzuführen, ist m.E. recht weiiit hergeholt) und seine Polemik bzgl. des zurückzugebenden Friedensnobelpreises von Willy Brand hätte er sich nun wirklich sparen können.
Viele Grüße
Maria
Entstehung von "Herrschaft" und "Staat"
moneymind, Samstag, 02.05.2009, 01:26 (vor 5899 Tagen) @ MariaBitterlich
Hi Maria,
Jetzt habe ich das Buch endlich ausgelesen und kann es nur wärmstens
empfehlen. Leider fehlen mir theologische und bronzezeithistorische
Kenntnisse um wirklich mitargumentieren zu können,
Mir auch. Ist doch aber wurscht, wir müssen uns hier ja zum Glück nicht mit Theologen, Historikern, Archäologen und sonstigen Spezialisten der Fachdisziplinen, deren Gebiet das Buch berührt, herumschlagen.
Heinsohn ist ja auch kein Spezialist auf diesen Gebieten. An ihm ist doch gerade interessant, daß er fachübergreifend denkt und selbst noch die fachdisziplinäre Spezialisierung als Ausdruck einer Form des Denkens entlarvt, die offensichtliche Zusammenhänge dissoziiert und damit der Aufmerksamkeit entzieht.
Auch an der Trennung von Ökonomie und Demographie in der herrschenden Sozialwissenschaft (ursprünglich – im Merkantilismus und bis in die der klass. Pol. Ök. hinein ja mal EIN Gebiet) wird das ja deutlich, und leider macht Heinsohn diese Trennung teiweise auch mit (seine Publikationsstrategie - beide Themen behandelt er in getrennten Büchern, Rise-and-Fall-Dynamik der bürgerlichen Gesellschaft wird aber nur im Zusammenhang beider verständlich).
aber die Heinsohn'sche
Theorie ist nachvollziehbar und erklärt für mich viel Unererklärliches.
Was denn zum Beispiel?
Für mich erklärt sie jedenfalls zunächst mal recht schlüssig die Frage nach dem Ursprung von "Klassenherrschaft" und "Feudalsystemen", d.h. einer herrschenden Priesterkaste, die durch Abgaben der Arbeitenden versorgt wird; und die Frage, warum Feudalsysteme immer etwas mit Religion zu tun haben.
"It is not known why priest-kings were suddenly accepted as
hierarchically superior rulers entitled to provisions by their fellows who
thereby turned themselves into mankind's first commoners." (Quelle)
Die Entstehung dieses Kernmerkmals menschlicher Hochkultur blieb ja auch und gerade im Marxismus - obwohl als "ursprünglicher Sündenfall" gern gegeißelt - merkwürdig unerklärt und unterbelichtet.
Die Frage ist, wieso hätten sich die Leute das eigentlich gefallenlassen sollen, um dann an passender Stelle wieder eine Revolution zu veranstalten?
Heinsohns Antwort darauf ist eben, Herrschaft war nicht nur pure Unterwerfung qua Macht und Gewalt, sondern die Abgabenpflichtigen bekamen auch etwas dafür: nämlich "Heil" in Form von Ritualen und Prognosen der jeweils nächsten Katastrophe der bronzezeitlichen Katastrophenserie (Priesterkaste - erste Astronomen; Katastrophenserie im Velikovsky-Szenario).
Das erklärt sehr schön und einleuchtend, warum Völker ihre Könige verehren (die Engländer bis heute).
Beim dottore dagegen überfallen Nomaden- und Hirtenstämme sesshafte Bauern. Wozu sie aber den Aufwand getrieben haben sollen, Tempel, Pyramiden und Kathedralen zu bauen, und komplizierte Rituale (inclusive Musik, Tanz, Opfer etc.) erfunden haben sollen, bleibt dabei dann doch auf recht merkwürdige Weise im dunkeln.
Der dottore ist eben letztlich ein Rationalist und Ökonomist – als gelernter Ökonom eben gewohnt, alles ökonomische aus ökonomischem zu erklären und Religion – in guter Marxscher Tradition – auf ökonomisches zu reduzieren: analog dem marxschen Programm, jeglichen „Überbau“ aus der „ökonomischen Basis“ „ableiten“ zu wollen, Religion für eine phatastische Ausgeburt des menschlichen Hirns jenseits jeglicher Realität zu erklären (Programm der Religionskritik des Rationalismus der antiken und modernen Aufklärung) und stattdessen „das Bewußtsein“ aus dem „materiellen Sein“ (verstanden als den ökonomischen Bedingungen, also Produktivkräften und Produktionsverhältnissen) zu erklären (vgl. MEW 3, „Die Deutsche Ideologie“ etc.).
An Heinsohn finde ich u.a. interessant, daß er auch das Standardprogramm der aufklärerischen Religionskritik nicht mitmacht, sondern im Gegenteil die Frage nach dem Ursprung und der Funktion von Religion historisch angeht. D.h. nicht nur in der Wirtschafts- und Bevölkerungstheorie entzieht er dem modernen, aufklärerischen Weltbild (ob nun sozialistisch oder liberal) jeglichen Boden, indem er die gemeinsamen falschen Voraussetzungen von Liberalismus und Sozialismus aufdeckt (Tauschparadigma). Auch auf dem Feld der Religion, wo Aufklärer und Theologen im Clinch liegen, geht er ähnlich vor, nicht „Partei zu ergreifen“, sondern stattdessen nach einer historischen Klärung zu suchen.
Es ist aber im Heinsohn-Szenario eben nicht eine einseitige Machtausübung/Unterdrückung gewesen, sondern durchaus ein "Pakt", bei dem der "Herrscher" (Priester-König) für die "Beherrschten" eine wichtige Leistung erbracht hat, nämlich psychische Wiederherstellung, den (kindlichen) Glauben, das Universum durch richtiges Handeln gefügig machen und harmonisch stimmen zu können, etc. – und zusätzlich auch (während der Katastrophenserie der Bronzezeit) realistische Katastrophenprognose, die erst nach Ende der Katastrophen in scharlatanerische Apokalypsen-Predigerei und Prophezeiherei zum Zweck der Angstmache und Machterhaltung unter Nutzung uralter Erfahrungen und psychischer Strukturen verkommt (nicht nur bei den Christen - Endzeitvorstellungen und –Prognosen und dazugehörige Heilserwartungen sind ja in vielen Religionen gang und gäbe).
Zum Machtmißbrauch kommt es in der Heinsohnschen Version der Geschichte erst nach dem Ende der bronzezeitlichen Serie von Katastrophen, als die Priester ihr Spezialwissen nutzen, um über prophetische/apokalyptische Katastrophenankündigungen ihre Machtstellung zu erhalten.
Eine katastrophistische Perspektive auf die Bronzezeit läßt auch viele andere gemeinsame Aspekte (fast) aller Religionen in einem ganz neuen Licht erscheinen - die Vorstellung von Weltzeitaltern z.B., die ja auch in diesem Forum recht undurchschaut wiedergekäut und breitgetreten wird (Ã la 2012 und ähnlichen Pseudoprognosen wie im von Albrecht geposteten Filmchen etc.).
Natürlich gibt es im Detail verschiedene Szenarien von unterschiedlichen Katastrophisten für diese Katastrophenserie. Velikovsky hat sicher viel getan, um den verdrängten Katastrophismus wieder ins Gespräch zu bringen, aber es gibt ja auch ganz andere Szenarien wie die von Donelly, Hörbiger (Welteislehre), Bellamy, Clube/Napier, Allen/Delair, Ackerman, Talbott etc. etc.
Wie also die Katastrophen im einzelnen verlaufen sein mögen, wird kaum endgültig zu klären sein, denn da spielen – wie immer bei Geschichtsschreibung – facts und fictions (Phantasie, braucht man für jegliche Hypothese) eng zusammen.
Daß es aber Katastrophen gegeben hat, scheint mir kaum abzuweisen zu sein. Ob es globale Katastrophen waren (mit Polsprung/Verkippung der Erdachse und folgenden Mega-Flutwellen) oder nur "große lokale" Katastrophen, mag umstritten bleiben. Jedenfalls sind sie archäologisch nachweisbar und wurden auch den größten Teil der Geschichte hindurch von niemandem angezweifelt (das haben erst Lyell/Darwin fertiggebracht, was Heinsohn ja in der Vorrede zu "Eigentum, Zins und Geld" kurz anspricht).
Was das Phänomen "Staat" angeht - klar ist der in erster Linie ein redistributives Feudalsystem, und religiös bestimmt – aus Sicht von Heinsohns Szenario eine Machtlegitimation, die mal „realistisch“ und verhältnismäßig angemessen war, diese Funktion aber nach Ende der katastrophenbestimmten Bronzezeit aber verloren hat und nur noch aus Gewohnheit und – seitens der Priester – auch Machtmißbrauch weitergeführt wird.
Aber daraus allein erklärt sich eben nicht die Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft (freies Grundeigentum, Vertragsfreiheit etc.), die sich m.E. eben nur als Revolution gegen die alte Feudalstruktur erklären läßt - wobei aber zentrale Strukturelemente des Staats erhalten bleiben, wenn auch ihre Funktion wechselt (schöner Aufsatz zum Funktionswechsel des Tempels in Griechenland hier).
Klar kann die nur als Teilsystem eines übergeordneten Machtgebildes "Staat" existieren, andererseits aber nur gegen diesen durchgesetzt werden. Wie sollte man denn sonst die Staatsfeindlichkeit der Liberalen, bis hin zum Anarcholiberalismus, erklären?
Wiederum kann man hier, meine ich, nur eine Revolution annehmen, weil auch eine komplette Revolution im Denken stattfindet („vom Mythos zum Logos“, „Aufklärung“, „Rationalismus der Philosophie und Wissenschaft“ etc.), die die alte Religion radikal „kritisiert“ und ganz andere ("rationale") Vorstellungen an deren Stelle setzt, dabei allerdings oftmals menschliche Kreativität und Phantasie zugunsten der Ratio mitentsorgt, anstatt sie zu erklären (schönes Buch dazu: Edward DeBono: I am Right, You Are Wrong).
Die Installation einer bürgerlichen Gesellschaft "von oben" Ã la dottores "Machtzession" gab es natürlich auch, aber meiner Meinung nach macht das nur Sinn für so etwas wie "nachholende Modernisierung" (in England entstand der moderne Kapitalismus "von unten", in D wurde er dann nachholend "von oben" installiert - analoges würde aus meiner Sicht auch für die Antike schlüssig Sinn ergeben).
Der religiöse Kern des Staatsphänomens blieb aber trotz der bürgerlichen Sphäre des Privatrechts („freie Wirtschaft“, „Markt“) erhalten: auch der moderne säkulare Nationalstaat hat sich trotz Aufklärung und Rationalismus und der dazugehörigen Religionskritik weiterhin der Kunst zur religiösen Verbrämung des Nationalgedankens bedient – aber einer verselbständigten Kunst, die dennoch an staatlichen Institutionen gepflegt und tradiert wurde (Nationaloper, Staatsoper, National- und Staatstheater, Nationalliteratur etc. Alle Künste haben ihren historischen Ursprung alle in religiösen Ritualen und folgen derselben "Logik" des Prinzips der Mimesis, nicht der rationalen Analyse - schöner Aufsatz dazu hier).
Daß Kunst ein Nischenprodukt des Marktes und bloß privates "Entertainment" geworden ist, ist ne relativ junge Entwicklung.
Manchmal nervt sein Philosemitismus
Heinsohn hat in Israel gelebt und geforscht (Kibbutz) und war offensichtlich sehr beeindruckt, wie er da als Deutscher empfangen und behandelt wurde.
(den Antisemitismus auf das Opferverbot im Judentum zurückzuführen, ist
m.E. recht weiiit hergeholt)
In gewissem Sinn schon einleuchtend, aber das allein kann es kaum sein, denn, dann müßten ja auch nichtjüdische Philosophen und Aufklärer oder Buddhisten ähnlich brutal verfolgt werden, was nicht der Fall zu sein scheint. In Afghanistan haben die Taliban allerdings buddhistische Denkmäler in Massen gesprengt, und wie China mit Tibet umspringt, wissen wir ja auch.
Hast Du mal Heinsohns "Warum Auschwitz?" gelesen?
Aber ... die Juden in der Diaspora als Unterdrückte, die in der Lage sind, den Machtmissbrauch der Herrscher nach Ende der Katastrophenzeit zu durchschauen, schaffen das Opfer ab ... hm, auch nicht ganz einleuchtend.
Aber die jüdischen Liebes- und Gerechtigkeitsgebote aus jüdischer Machtlosigkeit zu erklären und damit zu implizieren: „wer die Macht zum töten hat, tut das auch - Friedens- u nd Liebesgesäusel verbreitet nur jemand, der zu machtlos ist, sich vom Töten etwas anderes als die Niederlage zu erwarten“, paßt zu Heinsohns Spott über den Pazifismus der heutigen Deutschen, den er aus ihrer militärischen Impotenz mangels Jungmännerüberschuß erklärt.
Daraus entsteht manchmal der Eindruck, sein dem zugrundeliegendes Menschenbild (es geht immer nur um Macht) sei dem eines Hitler ähnlicher als dem eines Einstein oder Rabin.
Realistisch mag das ja sein, aber es reduziert Menschen auch auf ihre Vergangenheit und leugnet ihre Kreativität und Lernfähigkeit – damit hatte die Wissenschaft schon immer Probleme, weil sie die Kreativität mit dem Kreationismus mitentsorgt hatte und nur noch „Realitätserkenntnis“ als „rational“ anerkennen wollte. Diesem wissenschaftlichen Menschenbild dient Heinsohn sklavisch, ebenso wie Freud, auf den er sich dabei sicher zurückbezieht („Die Zukunft einer Illusion“ – psychoanalytische Religionskritik). Deswegen ist er ist auch kein strategischer Denker, er denkt nicht zukunfts- und handlungsorientiert, er schaut nur zu und sucht Erklärungen für das, was abläuft.
Seine demographische Rhetorik („Abschlachten“ „Ausschlachten“ und "Kannibalisieren" Chinas durch Singapur als Beschreibung von Singapurs Immigrationspolitik, nur hochqualiflizierte Chinesen hereinzulassen) ist für mich geschmacklos, gefühllos, unangebracht, sensationshascherisch und völlig daneben. Seine Analyse trifft ja zu, aber wozu die blutrünstigen, sensationshascherischen Metaphern? Wer weiß, welcher Gaul da mit dem guten Mann durchgegangen ist.
Und man sieht hier auch gut, wie er kaum zu strategischem Denken in der Lage ist: der Großteil des Abschnitts „Strategie“ ist einfach nur Analyse, seine demographische Strategie für Deutschland reduziert sich auf zwei Punkte: er rät, beim „Ausschlachten“ Chinas einzusteigen und alles Kindergeld nur fürs zweite Kind zu zahlen.
Heinsohn ist als „Forscher“ ein Weltbildumstürzer - ähnlich wie seine Vorbilder und Haupteinflüsse Marx, Freud, Velikovsky und Keynes. Zu strategischem, zukunfts- und handlungsorientierten Denken ist er unfähig, er liebt dagegen Negativprognosen und hält dies für eine Tugend („Nüchtern“).
Ungeachtet seiner originellen Gedanken: als Person machte er auf mich doch auch zuweilen den Eindruck eines in mancher Hinsicht doch manchmal eher fragwürdigen Menschen.
Viele Grüße
moneymind
Auseinandersetzung mit den Argumenten der Kritiker.
MariaBitterlich , Sonntag, 03.05.2009, 13:37 (vor 5898 Tagen) @ moneymind
Hi MM,
was für ein ausführliches Mega-Posting mit vielen Links zum Weitervertiefen. Zunächst möchte ich nur auf einen Teil eingehen.
Jetzt habe ich das Buch endlich ausgelesen und kann es nur wärmstens
empfehlen. Leider fehlen mir theologische und bronzezeithistorische
Kenntnisse um wirklich mitargumentieren zu können,
Mir auch. Ist doch aber wurscht, wir müssen uns hier ja zum Glück nicht
mit Theologen, Historikern, Archäologen und sonstigen Spezialisten der
Fachdisziplinen, deren Gebiet das Buch berührt, herumschlagen.
Es sollte aber m.E. nicht wurscht sein. So wichtig von Quereinsteigern eingebrachte interdisziplinäre Impulse für neue Denkansätze und damit wirkliche Weiterentwicklung der Erkenntnis sind, so müssen sich diese doch an den Erkenntnissen der Fachspezialisten reiben und irgendwie mit ihnen fusionieren. Koppeln sich die neuen Theorien - weil es ja auch einfacher ist - zu sehr vom wissenschaftlichen Diskurs ab, entsteht Crank- und Sektierertum.
Mein Punkt ist, dass wenn wir auf einem und fremden Fachgebiet Erkenntnisse gewinnen wollen, wir nicht nur den spannend und auch plausibel klingenden Theorien der Neuerer und Querdenker lauschen, sondern auch den Argumenten ihrer Kritiker aus den etablierten Fachrichtungen Gehör schenken sollten. Und insofern müssen wir Heinsohn Erschaffung der Götter eben schon an der bronzezeitlichen Geschichtsschreibung und Theologiegeschichte spiegeln, denn evtl. gibt es ja schlagende Killerargumente, die nur wir Laien eben nicht kennen.
Den Prozess hat js der eine oder andere schon selbst durchgemacht. Wenn man von als Fachfremder in die Geld- und Wirtschaftstheorie zu Zeiten der Krise eindringt, dann klingen die fachfremden und einfachen Erklärungen von Quereinsteigern wie Goldwährung oder Freigeld eben sehr plausibel. Es braucht dann schon eine längere Beschäftigung mit der Materie, um die Theoriestreu vom Theorieweizen zu trennen.
Und genau an dem Punkt bin ich mir bei Heinsohn bzgl. seiner Religionsgeschichte momentan einfach nicht sicher und würde gern die Argmente der Kritiker hören, also von Historikern der Bronzezeit oder Theologen.
Riese hat ja unseren Heinsohn mal als Crank bezeichnet, in dem konkreten Zusammenhang m.E. zu unrecht. Aber manchmal wird mit der Heinsohn etwas unheimlich im Angesicht seiner neuartigen Theorien in den verschiedensten Bereichen:
- Eigentumsökonomik
- Demographie (okay, Youth Buldge hat er ja nicht erfunden, sondern nur in D diskutabel gemacht)
- Hexenprozesse als Formen organisierter, staatlicher Geburtenkontrolle
- Katastrophismus (okay, auch eher von Velikovsky weitergetragen)
- ...
Also entweder bekommt der Heinsohn noch mal mindestens einen Nobelpreis (hier nur stellvertretend für wissenschaftliche Anerkennung aufgeführt), m.E. am ehesten für Ökonomie, oder wir überschätzen ihn im Moment etwas.
Viele Grüße
Maria
Fachwissenschaften, Cranks
moneymind, Sonntag, 03.05.2009, 15:12 (vor 5898 Tagen) @ MariaBitterlich
Hi Maria,
nur kurz, da ich gleich weg muß:
Jetzt habe ich das Buch endlich ausgelesen und kann es nur wärmstens
empfehlen. Leider fehlen mir theologische und bronzezeithistorische
Kenntnisse um wirklich mitargumentieren zu können,
Mir auch. Ist doch aber wurscht, wir müssen uns hier ja zum Glück
nicht
mit Theologen, Historikern, Archäologen und sonstigen Spezialisten der
Fachdisziplinen, deren Gebiet das Buch berührt, herumschlagen.
Es sollte aber m.E. nicht wurscht sein.
Ich meinte damit nicht, daß das völlig wurscht sei. Sondern, daß man sich mit Thesen wie denen von Heinsohn auch beschäftigen und eine persönliche Einschätzung formulieren kann auf dem Hintergrund von "kulturellem Allgemeinwissen". Man nimmt eine neue Perspektive zur Kenntnis, sieht, welche Perspektivenwechsel und Einsichten sich daraus ergeben, und achtet auch darauf, welche Widersprüche zu bekannten Tatsachen sich ergeben. Auf dieser Basis fällt man ein vorläufiges (intuitives) Urteil, das man aber immer auch auf die Interessen hin abklopfen sollte, die einen selbst bei dieser Einschätzung leiten.
Natürlich sollte man auch die Kritiker aus den Fachwissenschaften zur Kenntnis nehmen.
So wichtig von Quereinsteigern
eingebrachte interdisziplinäre Impulse für neue Denkansätze und damit
wirkliche Weiterentwicklung der Erkenntnis sind, so müssen sich diese doch
an den Erkenntnissen der Fachspezialisten reiben und irgendwie mit ihnen
fusionieren.
Ja, wobei aber die Struktur einer Fachdisziplin von einem Paradigmenwechsel nicht unberührt bleiben kann. Ob der sich durchsetzen kann, ist allerdings hauptsächlich eine Machtfrage. Wissen wird immer aus bestimmten Interessen heraus konstruiert, und Heinsohn greift viel zentrale Säulen des modernen, aufklärerischen Weltbilds (=Ideologie der modernen Gesellschaft) an.
Koppeln sich die neuen Theorien - weil es ja auch einfacher
ist - zu sehr vom wissenschaftlichen Diskurs ab, entsteht Crank- und
Sektierertum.
Kommt darauf an, wie man diese Begriffe verwendet. Das können auch Kampfbegriffe sein, mit denen ein altes Paradigma verteidigt wird. Schlüssigkeit und die Fähigkeit zur kohärenten Erklärung möglichst vieler bekannter empirischer Fakten, inclusive solcher, die bisher als Anomalien hinausgeworfen / verdrängt wurden, sind für mich wichtige Kriterien beim (vorläufigen, "laienhaften" Beurteilen eines neuen Paradigmas).
Jedenfalls mischen sich bei diesen Themen Empiriebezug und Interessen, und man muß beides im Auge behalten.
Mein Punkt ist, dass wenn wir auf einem und fremden Fachgebiet
Erkenntnisse gewinnen wollen, wir nicht nur den spannend und auch plausibel
klingenden Theorien der Neuerer und Querdenker lauschen, sondern auch den
Argumenten ihrer Kritiker aus den etablierten Fachrichtungen Gehör
schenken sollten. Und insofern müssen wir Heinsohn Erschaffung der Götter
eben schon an der bronzezeitlichen Geschichtsschreibung und
Theologiegeschichte spiegeln, denn evtl. gibt es ja schlagende
Killerargumente, die nur wir Laien eben nicht kennen.
Klar, da gebe ich Dir völlig recht.
Aber mal etwas allgemeinere Gedanken dazu:
Für uns ist ja ein Teil des modernen Weltbildes schon zusammengebrochen (nicht zuletzt mit dem Sozialismus, und jetzt mit der Wi-Krise sowieso), und jetzt suchen wir nach Alternativen, denken aber im Grunde noch "wissenschaftlich" (Wissenschaft hat ebenfalls eine Ideologie, sie verkürzt menschliche Wahrnehmungs- und kulturelle Wissenskonstruktionsprozesse enorm - ich sehe das eher sozialkonstruktivistisch, dafür hatte ja Marx auch schon ein Gespür). Vor allem tun wir es nur individuell und vereinzelt, und eine Bewegung wird daraus nicht erwachsen, dafür fehlt rein demographisch der Träger.
Heinsohn ist (für mich) ein Verfallsprodukt des Niedergangs der bürgerlichen Gesellschaft, ein Individualist für Individualisten. Nettes Hobby also, aber da auf "wissenschaftliche Anerkennung" und ähnliches zu hoffen, halte ich für naiv. Naja, weites Feld.
Den Prozess hat js der eine oder andere schon selbst durchgemacht. Wenn
man von als Fachfremder in die Geld- und Wirtschaftstheorie zu Zeiten der
Krise eindringt, dann klingen die fachfremden und einfachen Erklärungen
von Quereinsteigern wie Goldwährung oder Freigeld eben sehr plausibel.
Ja. Meine Strategie ist da, beim Lesen sofort Widersprüche, unerklärte Vorannahmen etc., die mir auffallen, festzuhalten. Manche davon werden sich mit der weiteren Lektüre dann im Gesamtzusammenhang des Modells auflösen. Andere nicht. Die muß man dann weiterverfolgen. Bei meiner Marx-Beschäftigung war das z.B. die "Arbeitswertlehre", die Frage nach dem Widerspruch zwischen Prognose und Realität einer Planwirtschaft in Hinblick auf Produktivitäts- und Innovationskapazität, etc.; da blieben bei Marx Widersprüche und offene Fragen, die ich nach der "Kapital-" Lektüre dann eben weiterverfolgte.
So ähnlich versuche ich das mit Heinsohns sonstigen Theorien auch, wobei mir leider die Zeit für ausführlicheres Weiterforschen fehlt. Wir könnten ja mal versuchen, eine Liste von Widersprüchen, Inkonsistenzen etc. bei Heinsohns "Erschaffung der Götter" aufzustellen und die den "Aha-Effekten", neuen Einsichten etc., die das Paradigma bietet, gegenüberzustellen.
Es
braucht dann schon eine längere Beschäftigung mit der Materie, um die
Theoriestreu vom Theorieweizen zu trennen.
Klar. Jede Einschätzung ist immer nur vorläufig.
Und genau an dem Punkt bin ich mir bei Heinsohn bzgl. seiner
Religionsgeschichte momentan einfach nicht sicher und würde gern die
Argmente der Kritiker hören, also von Historikern der Bronzezeit oder
Theologen.
Da kommt dann auch noch das ganze Chronologieproblem (Chronologierevision) mit herein, das Heinsohn im Religionsbuch ausklammert (siehe dazu "Die Sumerer gab es nicht"). Mir da ein Urteil zu erarbeiten, schaffe ich zeitlich einfach nicht.
Riese hat ja unseren Heinsohn mal als Crank bezeichnet, in dem konkreten
Zusammenhang m.E. zu unrecht.
Nun, mit Heinsohn und Riese hatte ich ja zu tun. Die beiden haben einfach aneinander vorbeigeredet und sich gegenseitig nicht wirklich verstanden. Hätten die mal gemacht, was Enghofer/Knospe gemacht haben, hätten sie ihre Widersprüche klären können. Da aber unsere westlicher Diskussionsstil seit den Griechen nicht auf kooperative Klärung, sondern auf Verteidigung der eigenen Position angelegt ist, kam es dazu nicht.
Riese war wütend, weil Heinsohn/Steiger seine in mancher Hinsicht in die richtige Richtung gehenden Kritikpunkt nicht verstanden haben. Daran ist er m.E. selber schuld, weil er sich nicht klar ausdrücken konnte (unpräzises akademisches Geschwurbel ohne konkret darauf einzugehen, was Banken tatsächlich tun, mit welchen Zielen und welchen buchhalterischen Konsequenzen).
Also hat Riese wütend auf den Tisch geklopft und H/S als cranks disqualifiziert. Aus meiner Sicht wirkte die ganze Auseinandersetzung kindisch, lächerlich, kommunikativ völlig inkompetent und war ein menschliches und kommunikatives Armutszeugnis für die Beteiligten.
Wie z.B. der dottore hier im Forum diskutiert, kommt mir da wesentlich kompetenter vor.
Aber manchmal wird mit der Heinsohn etwas
unheimlich im Angesicht seiner neuartigen Theorien in den verschiedensten
Bereichen:
- Eigentumsökonomik
- Demographie (okay, Youth Buldge hat er ja nicht erfunden, sondern nur in
D diskutabel gemacht)
- Hexenprozesse als Formen organisierter, staatlicher Geburtenkontrolle
- Katastrophismus (okay, auch eher von Velikovsky weitergetragen)
- ...
Also entweder bekommt der Heinsohn noch mal mindestens einen Nobelpreis
(hier nur stellvertretend für wissenschaftliche Anerkennung aufgeführt),
m.E. am ehesten für Ökonomie, oder wir überschätzen ihn im Moment
etwas.
Aus Nobelpreisen dürfte nichts werden. Heinsohn hinterfragt radikal das moderne Weltbild und Selbstverständnis, sowas kann keine Gesellschaft zulassen. Ich sehe ihn als Symptom und Speerspitze der ideologischen Krise, die Teil des Schwächelns und Niedergangs der westlichen europäischen Zivilisation ist. Er ist so etwas wie ein "empirischer Nietzsche", und gerade wegen dem Empiriebezug den Verteidigern des mod. Weltbildes so schwer erträglich. Daher am ehesten für Feulletonisten interessant, die sich im Detail nirgends auskennen.
Meine ich jedenfalls.
Gruß
moneymind
Paradigmenwechsel + Methode
moneymind, Montag, 04.05.2009, 03:35 (vor 5897 Tagen) @ MariaBitterlich
Hi Maria,
hierzu noch ein paar Gedanken:
>Aber manchmal wird mit der Heinsohn etwas unheimlich im Angesicht seiner >neuartigen Theorien in den verschiedensten Bereichen:
[quote]- Eigentumsökonomik
- Demographie (okay, Youth Buldge hat er ja nicht erfunden, sondern nur in D >diskutabel gemacht)
- Hexenprozesse als Formen organisierter, staatlicher Geburtenkontrolle
- Katastrophismus (okay, auch eher von Velikovsky weitergetragen)[/quote]
Die Bereiche erscheinen nur verschieden, weil sie eben heute dissoziiert (getrennt) voneinander behandelt werden.
Daß Heinsohn auf neue Antworten und Theorien kommt, hat nichts mit irgendeinem "Genie" oder sonstwas zu tun, was "nobelpreiswürdig" wäre (in den Gesellschaftswissenschaften ist das wohl eh mehr Ideologieproduktion).
Es hat ganz einfach etwas mit seinen FRAGESTELLUNGEN, ZIELEN und seiner METHODE zu tun.
Seine Methode nennt er selber "parallele Rätselkumulation" (siehe v.a. "Warum Auschwitz", erster Teil - leider nicht online verfügbar):
1.) Er geht aus von Ratlosigkeiten, bei denen Koryphäen der Fachdisziplinen eingestehen, keine Antwort zu haben und keine Lösung zu wissen. Nennt man auch "Anomalien" - also Dingen, die sich aus der Sicht des jeweils herrschenden "Paradigmas" (=bestimmter Blickwinkel, der durch bestimmte theoretische Konzepte / Grundannahmen erzeugt wird) nicht erklären lassen.
2.) Er dokumentiert diese Ratlosigkeiten systematisch (siehe z.B. Rätselsammlung in "Privateigentum, Patriarchat, Geldwirtschaft" oder in "Privateigentum und Zins, Bevölkerung und Hexen, Religion und Judenhaß").
3.) Er sucht für die Rätsel, für die verschiedene Fachdisziplinen keine Lösung haben, nach gemeinsamen Auflösungen - und zwar sowohl historisch als auch systematisch.
Ganz klar, daß solche Lösungen nur über sogenannte "Paradigmenwechsel", d.h. grundlegende Perspektivenwechsel zu haben sind, und theoretische Grundkonzepte sind immer solche "Perspektiven", die die Aufmerksamkeit/Wahrnehmung auf bestimmte Realitätsaspekte lenken und andere im Dunkeln belassen (hervorragende Analyse solcher Prozesse, die Kuhns Analyse locker in den Schatten stellt, bei Arthur Koestler: "The Act of Creation", dt.: "Der göttliche Funke").
D.h. Heinsohns Ziel besteht darin, Rätsel zu lösen.
Normale Fachwissenschaftler dagegen sind in erster Linie Traditionspfleger, nicht Forscher. Denn "forschen" dürfen sie überhaupt erst, wenn sie Professoren sind, und dafür müssen sie erstmal die Tradition auswendiglernen und ihren eigenen Profs in den Allerwertesten kriechen. Damit aber sind ihre Wahrnehmungsgewohnheiten vorstrukturiert. Was im ersten Semester noch eine offene Frage und ein Rätsel war, das man dann aus Gründen der Sicherung des universitätskarrieremäßigen Weiterkommens nicht verfolgt, sondern verdrängt hat, ist dann längst vergessen. Für diese Leute geht die eigene Existenzsicherung eben vor inhaltlichen Neuerungen, und das ist ja individuell auch vernünftig.
Das ist stabilisierend und traditionsbewahrend, aber nicht eben kreativitätsanregend. Das "System Wissenschaften" ist Teilsystem des "Systems Staat" und basiert auf Gefolgschaftsbildung. Das dürftest Du ja aus DDR-Zeiten aus eigener Erfahrung kennen. Staatssektor und Sozialismus funktionieren da nach denselben Prinzipien, nett analysiert auf der Basis der Arbeiten von Janos Kornai z.B. bei Katherine Verdery: What Was Socialism, What Comes Next?, S. 19-39 und im übrigen auch bei Heinsohn/Steiger (1981): "Geld, Produktivität und Unsicherheit in Kapitalismus und Sozialismus", Leviathan (Zeitschrift für Sozialwissenschaft) 9, 1981, S. 164-194, engl. Fass. hier (unbedingt lesen, da die Analyse der politischen Ökonomie des Realsozialismus dort eben auch auf den Staatssektor in Marktwirtschaften zutrifft).
Neuerungen sind da nicht funktional, funktional sind sie bestenfalls am Markt, weswegen sie eben auch in aller Regel dort produziert werden.
Man kann aber auch im System "Staat" Neuerungen einbringen - allerdings nur in Sondersituationen, und die 68er Jahre mit der folgenden Welle von Stellenvergaben an diesen Nachkriegs-Youthbulge war so eine Sondersituation, die vorbei ist. Heinsohn kriegte damals noch eine Stelle, OBWOHL er quer dachte. Aber erst, als er die Lebenszeitprofessur (für Sozialpädagogik!) hatte, konzentrierte er sich auf diese ganzen übergreifenden sozialen Fragen (vorher: "Theorie des Kindergartens", "Theorie des Familienrechts" - letztere war allerdings schon sehr unkonventionell und von der Marx / Freud-Rezeption der 68er wesentlich beeinflußt, gleichzeitig aber sehr eigenständig).
Heinsohns Rätselkumulationsmethode ist im übrigen auch ganz wesentlich von Freuds Psychoanalyse angeregt, bei der ja ebenfalls gegenwärtige Unverständlichkeiten durch historische (in diesem Fall individualbiographische) Rekonstruktion verständlich gemacht werden sollen.
Gruß
moneymind