Was macht eine Nominalforderung zu einem Zahlungsmittel (umlauffähig)?
Hi Bill,
Du schreibst:
Man sieht hier auch schön, dass nicht alle Verbindlichkeiten als
Zahlungsmittel fungieren, sondern nur "ganz spezielle" (die Kriterien
dafür scheinen mir trotz H/S noch nicht ausreichend geklärt).
Ja, kann ich voll zustimmen.
So kann ja der Metzger mit der Verbindlichkeit des Hoteliers (der Hotelier
hat Schulden beim Metzger) NICHT bei der Prostituierten seine Schulden
begleichen - obwohl diese auf den selben Betrag im "money of account"
lauten. Liegts daran, dass der Hotelier zuwenig Eigentum hat - und daher
die Forderung gegen ihn zu schlecht besichert ist (H/S)? Oder doch daran,
dass die Schuld nicht verbrieft und so schlecht handelbar ist? Sind die
Schulden zu schlecht standardisiert und deshalb nicht handelbar - immerhin
lauten sie ja schon auf das selbe "money of account"... Ist es eine
Kombination?
Ja, die Frage, was genau eigentlich eine Schuld umlauffähig (d.h. zu einem Zahlungsmittel, also zu einer Form von "Geld") macht, sehe ich auch als ganz wichtig an.
Und zwar unter anderem aus folgendem Grund:
Wenn man JEDE Schuld als Geld betrachten würde, d.h. jegliche Schuld auch als Zahlungsmittel weitergereicht werden könnte, dann wäre ja tatsächlich die Summe aller Schulden (Nominalverbindlichkeiten) gleich der Summe allen "Geldes" (Nominalforderungen), und es gäbe kein prinzipielles Geldknappheits- und Nachschuldnerproblem.
Bankingtheoretiker wie Mitchell Innes oder J.P. v. Bethmann scheinen das ja so zu sehen (wenn ich das recht verstehe).
Ebenso wird klar, dass nicht sämtliches Schuldentilgen ein deflationärer
Vorgang ist, sondern immer nur derjenige Tilgungsvorgang, der eine Schuld
bei einem geldschaffenden Gläubiger tilgt. In diesem Sinne kann das "money
proper" also durchaus "umlaufen" wie gesehen.
Ja, genau!
Ich würde zur Frage, was aus einer bloßen Nominalforderung (wie der obigen vom Metzger an den Bäcker) "Geld" (Zahlungsmittel) macht, nochmal eine kurze Überlegung in die Diskussion werfen, wobei ich an früheres anknüpfe.
Wikipedia schreibt zum Wechsel folgendes:
"Ein einmal angenommener Wechsel kann wegen seiner guten Umlauffähigkeit (Indossierung, gutgläubiger Erwerb) gut als Zahlungsmittel verwendet werden. Selbst ein noch nicht angenommener Wechsel eignet sich wegen der Annahmehaftung des Ausstellers dafür. Kann z. B. ein Käufer seine Kaufpreisschuld nicht in bar zahlen, weil er kein Geld hat, kann er auch einen vom Verkäufer ausgestellten Wechsel annehmen. Anzahlungshalber ist der Verkäufer dann Gläubiger eines, durch Annahme des Wechsels begründeten, abstrakten Schuldverhältnisses. Durch Indossierung des Wechsels kann er mit dem Wechsel seinerseits zahlen." (Wikipedia: "Wechsel", Abschn. "Funktionen des Wechsels")
Kernsatz ist hier, "durch Indossierung des Wechsels kann er mit dem Wechsel seinerseits zahlen".
Wie funktioniert dieses Indossament? Dazu gleich mehr, aber eine kurze Zwischenbemerkung:
Interessanterweise haben Heinsohn und Steiger den Wechsel in "Eigentum, Zins und Geld" diskutiert (Ausgabe Rohwolt 1996, S. 267ff) - aber eher am Rande, ohne daß es einen systematischen Einfluß auf ihre Geldtheorie gehabt hätte (soweit ich sehe). Sie sehen den Wechsel nur als "die geeigneten Vermögenswerte zur Deckung der Geldemission". In der "Eigentumsökonomik" taucht der Wechsel dann nicht mehr auf.
Was aber wäre, wenn wir am Wechsel das Prinzip der Geldschöpfung sozusagen in Reinform studieren könnten?
Schauen wir uns aber den Wechsel genauer an, und vergleichen ihn mit einem Geschäftsbankenkredit, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen.
Ein "Wechsel" ist zunächst einfach eine Nominalforderung eines Gläubigers A ("Aussteller") an einen Schuldner B ("Bezogener"). Der Schuldner B kann nicht sofort zahlen und erhält vom Gläubiger A Zahlungsaufschub. B "zahlt mit einer Forderung gegen sich selbst", die allerdings einen Fälligkeitstermin hat und daher zu einem definierten späteren Zeitpunkt mithilfe eines Zahlungsmittels (Geld) erfüllt werden muß.
Der Gläubiger A kann nun diese Forderung seinerseits zu Zahlungszwecken weiterreichen:
"Durch Indossierung des Wechsels kann er mit dem Wechsel seinerseits zahlen." (wikipedia, s.o.)
Wie funktioniert nun ein solches Indossament?
B kann eine Nominalforderung, die der C gegen ihn hat (z.B. aus einem Kaufvertrag), mithilfe seiner (des B) Forderung gegen den A bezahlen.
Doch warum nimmt C die Forderung des B gegen den A als Zahlungsmittel an?!? Was genau ist es, das die Forderung des B gegen den A zum "Zahlungsmittel", also "umlauffähig" macht?
Der wikipedia-Artikel listet 3 rechtliche Wirkungen des Indossaments auf:
1. Transportfunktion oder Übertragungswirkung: Der Indossatar erhält alle Rechte des Wertpapiers
2. Legitimationsfunktion oder Ausweiswirkung: Als rechtmäßiger Inhaber eines Orderpapieres gilt, wer sich durch eine lückenlose Indossamentenkette ausweisen kann.
3. Garantiefunktion oder Haftungswirkung: Dies gilt vor allem beim Wechsel und bedeutet, dass der Indossant als Rückgriffsschuldner für die Zahlung des Wechsels haftet.
Entscheidend für die Umlauffähigkeit der Forderung scheint mir Punkt 3 zu sein, nämlich "dass der Indossant als Rückgriffsschuldner für die Zahlung des Wechsels haftet."
Der C wird von B verlangen, für den Fall der Zahlungsunfähigkeit des A die Zahlung von B verlangen (bzw. bei Zahlungsunfähigkeit vollstrecken lassn) zu können.
Warum?
Weil C weiß, daß B in diesem Fall selbst darauf achten wird, daß A ein "guter Schuldner" ist, denn er will ja nicht für dessen eventuellen Ausfall regreßpflichtig gemacht werden und so einen Verlust erleiden.
Würde C vom B diese Haftung NICHT verlangen, dann könnte sie B verleitet fühlen, seine Schuld gegenüber C mithilfe einer Forderung gegen einen "schlechten" Schuldner zu begleichen und sozusagen ein Verlustrisiko an den C weiterzureichen.
Würde also der C von B NICHT verlangen, zusätzlich zum A selbst zusätzlich auch selbst für die Erfüllung der Forderung zu haften, dann müßte C, BEVOR er die Forderung des B gegen den A zu Zahlungszwecken annimmt, SELBST prüfen, inwieweit der A ein "guter Schuldner" ist.
Heinsohn/Steiger sehen das durchaus, aber beziehen es nicht systematisch auf ihre Geldtheorie, weil sie sich nur für den Wechsel als Refinanzierungsinstrument der GBen bei der ZB interessieren.
Schauen wir aber näher hin:
Wir sehen hier ein wesentliches Prinzip. Dadurch, daß der C die Forderung des B gegen den A nur annimmt, wenn auch B für die Erfüllung haftungsmäßig einsteht, ermöglicht es dem C, die Forderung gegen den A zu Zahlungszwecken zu akzeptieren, OBWOHL ER DEN A ÜBERHAUPT NICHT GENAU KENNT Er sieht ja nur den Namen des Bezogenen auf dem Wechseldokument, woraus allein er über dessen Zahlungsfähigkeit / Haftungsfähigkeit kaum etwas entnehmen kann.
Dieser Unterschied zu Tauschverhältnissen auf der Basis bloßer "Solidarität", in denen es KEINE Haftung gibt, macht relativ anonymisierte "Wertpapiere", die dann unter beliebigen Rechtspersonen "umlaufen" können, überhaupt erst möglich!
Wesentlich für die Fragestellung nach der Umlauffähigkeit ist also das Prinzip, jeweils denjenigen, der die Nominalforderung weiterreicht, für die Erfüllung ebenfalls haften zu lassen - zusätzlich zum eigentlichen Schuldner (Bezogenen). Jeder weitere, der den Wechsel zu Zahlungszwecken annimmt, kann - wenn es eine lückenlose Kette haftender vorheriger Inhaber gibt - darauf vertrauen, daß er zum Termin der Fälligkeit seine Forderung erfüllt bekommt - wenn nicht vom eigentlichen Schuldner A, dann vom nächsten Haftenden in der Haftungskette, etc.
Im Fall des Wechsels wird also eine Nominalforderung dadurch zu einem "Zahlungsmittel", daß weitere Haftende hinzukommen, die die Forderung "sicherer" und "vertrauenswürdiger" machen.
Nochmal wikipedia, zur Geschichte des Wechsels (Hervorhebungen von mir):
"Nachdem der Wechsel im 15. Jahrhundert indossierbar (d.h. durch bloße Unterschrift übertragbar) wurde, wurde er schnell zum Papiergeld der Kaufleute und damit zum wichtigsten Finanzierungsmittel für den internationalen Warenhandel. Das Indossament erhielt diesen Namen, weil auf der Rückseite das Handzeichen des Weiterreichenden erscheinen musste. Doch die Indossierbarkeit reichte keineswegs aus. Der Wechsel musste auch vor einem weltlichen Gericht einklagbar sein. Dies wurde erstmals 1405 in Barcelona durchgesetzt. Solange er nicht einklagbar war, waren seinem Gebrauch Grenzen gesetzt." (Wikipedia: "Geschichte des Wechsels")
Vergleichen wir das nun mit einem Geschäftsbankenkredit.
Was tut die Geschäftsbank im Grunde, wenn sie (per Bilanzverlängerung) einen solchen Kredit vergibt? Sie verzichtet auf keinerlei Vermögen, und sie muß auch nichts "für eine jederzeitige Einlösung vorhalten", wie H/S suggerieren.
Vielmehr muß sie - der Kreditnehmer seinen Kredit in ZBG ausgezahlt haben möchte - einfach nur die Forderung gegen den Kreditnehmer an die ZB weiterreichen und sich selbst dazu bereiterklären, im Fall des Schuldnerausfalls der ZB gegenüber ebenfalls zu haften, um die Forderung zu "refinanzieren" (Aktivtausch).
Wiederum sehen wir also, daß "Geld" dadurch entsteht, daß "zusätzliche haftende" auftreten. Man kann das nun "Eigentumsbelastung" nennen, wie H/S, sollte aber nicht glauben, daß da irgendwelches Eigentum "zur Einlösung vorgehalten werden" muß. Das ist nicht der Fall, und deswegen kann die Eigenkapitalquote einer GB auch so niedrig wie 2% sein.
Wir können also festhalten, daß Geld dadurch entsteht, daß einen Nominalforderung ganz einfach durch das Auftreten zusätzlicher haftender Eigentümer umlauffähig gemacht wird.
Ausgehend von dieser Frage müßte ich jetzt noch die Frage des Zinses diskutieren, von dem ich oben noch abgesehen habe (wofür wird er gezahlt, wo genau taucht er beim Wechsel auf, etc.?). Das verschiebe ich aus Zeitmangel erstmal auf später, bin aber gespannt auf Eure Reaktionen zu obigem.
Der Zins ist natürlich essentiell, denn er führt dazu, daß "Geld" gegenüber bloßen "Nominalforderungen" knapp ist und damit zum Nachschuldnerproblem, das H/S übersehen, dessen Folgen aber ja der dottore wunderbar ausgeleuchet hat.
Soweit erstmal - gespannt auf Eure Reaktionen.
Gruß
moneymind
gesamter Thread:
- kleine debitistische Geschichte aus Frankreich mit Übersetzung -
paranoia,
02.06.2009, 22:26
- Erinnert an funktionale Geldtheorie von Lerner -
weissgarnix,
03.06.2009, 00:08
- Was macht die Schuld umlauffähig und damit zum "money proper"? -
BillHicks,
03.06.2009, 00:42
- Verständnisproblem -
paranoia,
03.06.2009, 08:52
- Versuch zur Verständnisverbesserung -
BillHicks,
03.06.2009, 12:11
- Frage zum Eigentum -
Fabio,
03.06.2009, 14:20
- Eigentum vs. Besitz -
BillHicks,
03.06.2009, 14:57
- Naja... - Fabio, 03.06.2009, 15:06
- Eigentum vs. Besitz -
BillHicks,
03.06.2009, 14:57
- Frage zum Eigentum -
Fabio,
03.06.2009, 14:20
- Versuch zur Verständnisverbesserung -
BillHicks,
03.06.2009, 12:11
- 100 Taxos statt 100$ -
Libertinho,
03.06.2009, 14:04
- Danke für den Hinweis. Wurde über diese Idee schon diskutiert? (oT) -
BillHicks,
03.06.2009, 14:11
- taxos -
Libertinho,
03.06.2009, 14:54
- Symposium Geldreform - Libertinho, 03.06.2009, 14:58
- taxos -
Libertinho,
03.06.2009, 14:54
- Danke für den Hinweis. Wurde über diese Idee schon diskutiert? (oT) -
BillHicks,
03.06.2009, 14:11
- Was macht eine Nominalforderung zu einem Zahlungsmittel (umlauffähig)? -
moneymind,
03.06.2009, 14:55
- Ein Nachschuldnerproblem gibt es in jedem Fall - Tyler Durden, 03.06.2009, 17:32
- @mm - klasse Beitrag, so macht Geldtheorie Spass - meine 2 Cent: Termin nicht vergessen -
BillHicks,
04.06.2009, 00:33
- Nominalforderung umlauffähig machen, Termin, etc. - moneymind, 04.06.2009, 02:34
- Verständnisproblem -
paranoia,
03.06.2009, 08:52
- Es liegt am Vertrauen -
chiron,
03.06.2009, 08:32
- Vertrauen ist hier nicht nötig -
weissgarnix,
03.06.2009, 09:23
- Theorie aus den Elfenbeintürmen -
chiron,
03.06.2009, 09:34
- Gemach, gemach, mon cher -
weissgarnix,
03.06.2009, 09:39
- Dann lösen wir doch mal das aktuelle Problem -
chiron,
03.06.2009, 09:54
- Des Pudels Kern -
BillHicks,
03.06.2009, 12:24
- cui bono ;-) (oT) -
IanSobiesky,
03.06.2009, 14:47
- Mein ich doch ;-) (oT) - BillHicks, 03.06.2009, 14:58
- Schuldige sind schnell gefunden... -
Tyler Durden,
03.06.2009, 17:54
- Exakte Problembeschreibung und -verständnis fehlt noch. Wir arbeiten hoffentlich alle gemeinsam daran. - BillHicks, 04.06.2009, 00:54
- cui bono ;-) (oT) -
IanSobiesky,
03.06.2009, 14:47
- Des Pudels Kern -
BillHicks,
03.06.2009, 12:24
- Dann lösen wir doch mal das aktuelle Problem -
chiron,
03.06.2009, 09:54
- Gemach, gemach, mon cher -
weissgarnix,
03.06.2009, 09:39
- Theorie aus den Elfenbeintürmen -
chiron,
03.06.2009, 09:34
- Endlich einer, der die Zinsen erwähnt! -
paranoia,
03.06.2009, 09:27
- Ja, ja der Zins - apoll, 03.06.2009, 09:45
- Vertrauen ist hier nicht nötig -
weissgarnix,
03.06.2009, 09:23
- Der Kiesfahrer versucht eine Lösung -
prinz_eisenherz,
03.06.2009, 08:36
- Macht versus Vertrauen -
chiron,
03.06.2009, 08:49
- Stop chiron, so einfach ist es nicht, wie alle einfachen Lösungen -
prinz_eisenherz,
03.06.2009, 09:29
- Der Vergleich hinkt -
chiron,
03.06.2009, 11:39
- Besser hinkend sich vorwärts bewegen, als ohne zu hinken zurück bleiben - prinz_eisenherz, 03.06.2009, 13:15
- Der Vergleich hinkt -
chiron,
03.06.2009, 11:39
- Zeit und Ereignisse - sensortimecom, 03.06.2009, 13:03
- Stop chiron, so einfach ist es nicht, wie alle einfachen Lösungen -
prinz_eisenherz,
03.06.2009, 09:29
- Macht versus Vertrauen -
chiron,
03.06.2009, 08:49
- Link zu Lerners Theorie - weissgarnix, 03.06.2009, 10:12
- @ weissgarnix -
Achilles,
03.06.2009, 15:58
- Einen Anfang habe ich gerade gemacht -
weissgarnix,
03.06.2009, 16:01
- Da gibt es noch mehr Passendes ;-) - QuerDenker, 03.06.2009, 16:57
- Einen Anfang habe ich gerade gemacht -
weissgarnix,
03.06.2009, 16:01
- Was macht die Schuld umlauffähig und damit zum "money proper"? -
BillHicks,
03.06.2009, 00:42
- Hier alles ohne Steuern :-( --------- Ohne Staat / Steuern keine Krise ... (oT) -
LenzHannover,
03.06.2009, 01:55
- Aber der Staat braucht das Geld; wie diese kleine Geschichte beweist, sonst würden sich die Leute an die Gurgel gehen. -
Mephistopheles,
03.06.2009, 09:11
- jaja, die lieben Steuern.. - kapiernix, 03.06.2009, 10:00
- Aber der Staat braucht das Geld; wie diese kleine Geschichte beweist, sonst würden sich die Leute an die Gurgel gehen. -
Mephistopheles,
03.06.2009, 09:11
- warum in der Realität die Schulden nicht getilgt werden - Tyler Durden, 03.06.2009, 10:52
- alter Hut... - JüKü, 03.06.2009, 13:06
- Erinnert an funktionale Geldtheorie von Lerner -
weissgarnix,
03.06.2009, 00:08